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Der Rauchsalon

Der Rauchsalon

Titel: Der Rauchsalon
Autoren: Charlotte MacLeod
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standen. Um so besser. Was auch immer ihre
zahlreichen Verwandten von ihrem Vorhaben halten mochten, wobei Dolphs Reaktion
noch zu den höflichsten gehört hatte, man konnte ihr keinen Vorwurf daraus
machen, daß sie die vielen sicherlich wohlgemeinten Einladungen ihrer Pflichten
wegen ausgeschlagen hatte. Keiner konnte von einer Frau, die gerade erst Witwe
geworden war, fröhliche Karten oder Geschenke erwarten. Sie aß ein schwer
verdauliches Weihnachtsessen mit Tante Appie und Onkel Samuel in Cambridge und
verbrachte ein erstaunlich ausgelassenes Silvesterfest in der Pinckney Street
zusammen mit Onkel Jem, Egbert und Dolph, der vom Champagner einen Schwips
bekam und alles aus Kiplings Gunga Din zitierte, an was er sich noch
erinnern konnte — es war glücklicherweise nicht besonders viel.
    Am Sonntag, den zweiten Januar, kehrte
Mariposa die letzten Konfettireste weg. Am Montag, dem dritten Tag des neuen
Jahres, das wohl kaum schlimmer werden konnte als das verflossene, fand sich
Sarah am Kopfende ihres Eßzimmertisches wieder, wo sie das schieferblaue
Abendkleid und Granny Kays Brosche mit dem Eisvogel trug und als offizielle Hausherrin
ein Essen serviert bekam, das sie selbst in ihrer privaten Köchinnenrolle
zubereitet hatte. Bedient wurde sie von Charles, der sich selbst übertraf in
seiner Rolle als perfekter schottischer Butler in einem noblen englischen
Herrenhaus.
    Sarah selbst kam die ganze Inszenierung
vollkommen unecht vor, doch ihre Gäste schien die Szene zu überzeugen. Alle,
mit Ausnahme von Professor Ormsby allerdings, der weiterhin mit seinem haarigen
Tweedanzug und dem braunen Rollkragenpullover bekleidet war, hatten sich zur
Feier des Tages in Schale geworfen. Mr. Quiffen erschien formvollendet im
Smoking. Seine Kleidung war vermutlich noch älter als Sarahs Gewand, da er
offenbar zu dem Menschenschlag gehörte, der es strikt ablehnte, irgend etwas
wegzuwerfen, das sich noch tragen ließ, lediglich weil es ein paar Jahrzehnte
aus der Mode war.
    Mr. Porter-Smith dagegen hatte sich in
einen weinroten Smoking geworfen, dessen Satinrevers breit und glänzend genug
waren, um darauf eislaufen zu können. Die Krönung bildeten eine passende
Fliege, die in Größe und Farbgebung stark an einen Amazonasschmetterling
erinnerte, und ein rosa Rüschenhemd.
    Doch selbst er verblaßte im Vergleich
zu Mrs. Sorpende. Sie war wie gewöhnlich ganz in Schwarz und trug ein
langärmeliges, langes Gewand aus mattem Crêpe, das hauteng auf ihre zwar
üppigen, aber keineswegs unattraktiven Formen zugeschnitten war. Darüber hatte
sie kunstvoll einen smaragdgrünen Chiffonschal drapiert, der ihren tiefen
Ausschnitt zwar verschleierte, jedoch immer noch durchschimmern ließ. In ihrem
sorgfältig frisierten Haar trug sie eine Aigrette aus grünen Straußenfedern und
ein Arrangement aus Juwelen, die, wenn sie echt gewesen wären, Sarah allen
Anlaß gegeben hätten, sich vor Einbrechern zu fürchten.
    Charles bemühte sich zwar, die korrekte
Haltung zu bewahren, aber Sarah konnte spüren, wie er es innerlich genoß, einer
Dame von solcher Weltklasse die Cracker zu reichen. Professor Ormsby blickte
zufällig von seiner Suppe hoch und konnte die Augen nicht mehr abwenden.
Zweifellos bedeutete Mrs. Sorpendes verführerisch drapiertes Mieder eine
willkommene Abwechslung von seinen Windkanälen.
    Die arme Miss LaValliere, die
eigentlich ein ganz hübsches Kind war, trotz der Tatsache, daß sie ihr
Kraushaar zu einer Art Frisur gebändigt hatte, wie sie die frühen Andrew
Sisters getragen hatten, wurde völlig in den Schatten gestellt. Sie trug ein
recht einfallsloses, aber indiskretes schlauchartiges Etwas aus irgendeinem
enganliegenden Material, doch nicht einmal Charles machte sich die Mühe, in ihr
freiliegendes Dekolleté zu spähen, da es offenbar der Mühe nicht wert war.
Vielleicht versuchte sie, dagegen zu protestieren, daß Frauen als reine
Sexualobjekte betrachtet wurden, dachte Sarah. In diesem Fall hätte sie kaum zu
einem wirksameren Mittel greifen können.
    Wie dem auch war, Jennifer LaValliere
trug immerhin dazu bei, daß sich die zuschußbedürftige Kasse des
Kelling-Haushaltes wieder füllte, und es war Sarahs Pflicht, das Mädchen bei
Laune zu halten. Sie begann daher ein freundliches Gespräch mit ihr, an dem
sich auch Mrs. Sorpende und Mr. Porter-Smith beteiligten. Daß Miss LaValliere plötzlich
im Mittelpunkt des Interesses stand, verärgerte allerdings Mr. Quiffen, der
anfing, sich wie ein äußerst
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