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Der Rattenzauber

Titel: Der Rattenzauber
Autoren: Kai Meyer
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mit, Herr. Ganz gleich, wohin Ihr geht – aber nehmt mich mit Euch.«
    Sanft löste ich mich aus ihren Armen und trat einen Schritt zurück. »Man wird mich suchen, überall im ganzen Land. Wie könntest du da mit mir gehen?«
    Tränen schossen aus ihren Augen und rollten ihr über die glatten Wangen. »Es ist mir gleich, was alle sagen. Ihr seid kein Mörder. Niemals. Und ich will immer bei Euch bleiben.«
    Ich schüttelte erneut den Kopf und wandte mich zur Tür. »Ich muß jetzt gehen.«
    Sie schluchzte leise, machte aber keine Anstalten, mir zu folgen. Da fiel mir etwas ein.
    »Maria, wo ist der Bronzeschädel? Weißt du, was damit geschehen ist?«
    Sie nickte und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. »Er ist fort. Vater Johannes hat ihn geholt. Er sagte, wenn Ihr ihn nicht mehr braucht, dann sei er bei ihm gut aufgehoben.«
    »Wann hat er ihn abgeholt?«
    »Kurz bevor alle anderen zum Spiel aufbrachen.«
    »Du warst nicht dort?«
    »Ich habe hier auf Euch gewartet.«
    Ich schenkte ihr ein Lächeln und kämpfte einen Augenblick lang mit der Versuchung, sie erneut zu küssen. Dann überwand ich mich und trat hinaus auf den Flur.
    »Leb wohl, Maria«, sagte ich leise. »Ich hoffe sehr, daß du jemanden triffst, der deiner würdiger ist als ich.«
    Sie gab keine Antwort. Zerbrechlich und niedergeschlagen blieb sie in der Kammer zurück, und schon nach kurzem hörte ich ihr Weinen nicht mehr, denn ich eilte die Treppe hinunter und lief davon in die eiskalte Nacht.
    ***
    Ich gelangte ungehindert bis zum Waldrand östlich der Stadt und stieg den Kopfelberg hinauf. Mein Pferd war fort. Männer des Probstes oder Diener des Herzogs mußten es fortgeführt haben. Über dem fernen Horizont graute der Morgen, ein schmaler Streifen blasser Helligkeit, der in Finsternis versank, nachdem ich den Wald betreten hatte. Eine fremdartige Stille hing zwischen den mächtigen Stämmen. Kein Zwitschern, kein Rascheln drang an mein Ohr. Die Vögel befanden sich längst auf ihrem Flug nach Süden.
    Ich ging eilig voran, das Bündel über die Schulter geworfen, das Schwert in der Hand wie ein Wanderstab. Der Bronzekopf war mir teuer. Ohne ihn wollte ich Hameln nicht verlassen.
    Es dauerte länger als erwartet, ehe ich den Rand der Senke erreichte, in der sich einer der Einstiege zu Hollbecks Höhlenheim befand. Der Einsiedler war nirgends zu sehen. Als ich über die Kante hinabstieg, verhakte sich mein Fuß in einer Wurzel, ich stolperte und stürzte polternd in die Tiefe. Das Bündel öffnete sich, und sein Inhalt verstreute sich am Boden der Senke. Ich selbst fiel mit dem Knie auf die Schwertscheide und keuchte auf vor Schmerz.
    Ehe ich noch aufstehen konnte, ertönte von irgendwo aus dem Dunkel die schallende Stimme des Einsiedlers:
    »So fallt Ihr also erneut vor meiner Schwelle auf die Knie, Ritter Robert.« Gutmütige Belustigung klang aus seinen Worten. Als ich mich umsah, war er nirgends zu sehen.
    »Hier bin ich«, sagte der Alte. Seine Stimme verlor an überirdischem Hall, und er trat vor mir aus den Schatten. Dort mußte sich in der Schwärze der Eingang zum Grottenlabyrinth befinden. Ein kühler Luftzug, der mir aus der Tiefe ins Gesicht blies, bestätigte meine Vermutung.
    Hollbeck reichte mir die Hand und half mir beim Aufstehen. »Ich bin froh, Euch lebend wiederzusehen. Ja, es ist wahr, ich freue mich, daß Ihr lebt.«
    Ich wußte nicht recht, was ich darauf hätte entgegnen können. Statt dessen schwieg ich und überließ ihm das Reden.
    »Ihr seid gekommen, um Euer Eigentum einzufordern«, stellte er fest. »Nun, das ist Euer gutes Recht.«
    »Gebt mir den Schädel«, verlangte ich knapp. Dabei suchte ich meine Besitztümer beisammen und steckte sie zurück ins Bündel. Ich vermochte Hollbecks Benehmen nicht einzuschätzen. Wußte er denn nicht, wer ich war? Ahnte er nicht, was ich verbrochen, welches Leid ich anderen zugefügt hatte? Unmöglich. Er war der erste gewesen, der meine Krankheit entdeckte. Weshalb gab er sich nun so höflich und gelassen?
    »Den Schädel«, sagte er gedankenverloren. »Ja, den habe ich in der Tat. Und natürlich sollt Ihr ihn zurückbekommen.«
    »Wo habt Ihr ihn?« fragte ich.
    Statt einer Antwort strich er sich mit den Fingern durchs filzige Haar, das ihm stärker als sonst in alle Richtungen abstand. Je länger ich ihn betrachtete, desto mehr wurde ich gewahr, welch unheimlichen Anblick er abgab. Seine blank polierten Zähne blitzten im Dunkeln wie die eines Raubtiers.
    Ohne
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