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Der Rattenfänger

Der Rattenfänger

Titel: Der Rattenfänger
Autoren: James McGee
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noch andere Gestalten herum, die weder an dem Boxkampf noch an dem Prediger interessiert waren. Diese, dem Wesen nach sehr verschiedene Kreaturen, wurden von der Aussicht auf reiche Diebesbeute angezogen – Straßendiebe.
    Einer dieser Taschendiebe, ein neunjähriger, für sein Alter zu kleiner, spindeldürrer Junge, wurde von seinen Kumpanen Tooler genannt, weil er sich schneller, als man nach Luft schnappen konnte, durch die Menge schlängelte und einem Opfer Brieftasche und Uhr entwendete. Schon im Alter von vier Jahren hatte der Zögling des Arbeitshauses Refuge and Bridewell zu klauen angefangen, und mittlerweile galt er in diesem Gewerbe als alter Hase.
    Tooler hatte sein Opfer bereits eine Weile beobachtet. Durch die dicht gedrängt stehenden Zuschauer konnte er sich unbemerkt anschleichen, blitzschnell zuschlagen und wieder verschwinden. Jem Whistler, Toolers getreuer und vierzehn Monate älterer Kumpel, wischte sich die Krümel einer gestohlenen Hammelpastete vom Mund und grinste durchtrieben. Dann pirschten sich die beiden barfüßigen Bengel durch die Menge an ihre ahnungslosen Opfer heran.
    Zur Freude der Zuschauer rappelte sich Figg noch einmal auf und landete ein paar, wenn auch ungezielte Treffer auf Benbows schon von Schlägen gezeichnetem Oberkörper. Vom Gebrüll seiner Anhänger angespornt, holte er zu einem wilden Schwinger aus, der den Kampf wohl beendet hätte, wäre sein Gegner dem Schlag nicht ausgewichen und hätte er Figg nicht oberhalb des Herzens mit einem mächtigen Aufwärtshaken getroffen. Figg wurde auf dem falschen Fuß erwischt, er taumelte unter der Wucht des Schlags, und Schmerz verzerrte sein übel zugerichtetes Gesicht. Blut tropfte ihm aus der Nase, und sein rasierter Schädel glänzte vor Schweiß.
    Toolers Opfer, ein rothaariger Soldat mit kräftiger Gesichtsfarbe in dem scharlachroten Rock und den weißen Kniehosen eines Majors stand mit seinem ebenfalls uniformierten Kameraden unter dem Gewölbe eines Stalls. Mit gesenktem Kopf, Jem dicht auf seinen Fersen, schlich sich Tooler an den Major heran.
    Im Boxring hieb Figg dem Mann aus Cornwall jetzt mit der Faust in die Nieren, worauf die Zuschauer kurz den Atem anhielten und dann laut schreiend beide Kämpfer anfeuerten.
    Diese Gelegenheit nutzte Tooler. Er berührte leicht die Schärpe des Majors, hakte mit einer einzigen geschickten Bewegung die Taschenuhr aus und gab sie unter seinem Arm hindurch in Jem Whistlers ausgestreckte Hand weiter. Dann trennten sich die beiden kleinen Diebe sofort. Innerhalb von Sekunden waren sie in der Menge verschwunden. Weder der Major noch sein Kamerad hatten etwas von dem Diebstahl bemerkt.
    Im Ring droschen die beiden Kämpfer weiter aufeinander ein. Figg machte unter den Schlägen des Mannes aus Cornwall allmählich schlapp. Blut und Schleim troffen aus seiner aufgeplatzten Nase und bespritzten sogar die direkt an den Seilen stehenden, vor Begeisterung grölenden Zuschauer. Der Kampf wuchs sich zu einer erbarmungslosen Keilerei aus.
    Ohne auf das Spektakel zu achten, schlängelten sich die beiden Jungen durch die Menge und tauchten am Rand des Hofes in einer schmalen Gasse unter. Die dort postierten Aufpasser waren viel zu sehr mit dem Geschehen im Boxring beschäftigt, als dass sie auf zwei kleine Halunken achten konnten.
    In dem Gewirr der feuchten, dunklen Gassen hinter der Taverne hasteten Tooler und Jem Whistler an verfallenen Behausungen und heruntergekommenen Herbergen vorbei. In einer der Jauchegruben in der Mitte einer Gasse lag ein aufgeblähter Tierkadaver. Ratten flohen piepend in den Schutz bröckelnder Hauswände. Finstere, schattenhafte Gestalten standen in dunklen Eingängen oder waren schemenhaft im flackernden Kerzenschein hinter Fensterscheiben zu sehen. Während die Nachmittagssonne hinter den verschachtelten Dächern versank, drangen die beiden Jungen immer tiefer in dieses Labyrinth ein.
    Mutter Gants Herberge stand an der Seite eines kleinen Hofs am Ende eines hüftbreiten Durchgangs. Wie bei vielen dieser verkommenen Absteigen in dem Elendsviertel war über dem schmalen Eingang ein überhängendes Dach angebracht. Die Fenster starrten vor Dreck. In dem Bretterverschlag in einer Ecke wühlten zwei magere Schweine in einem leeren Trog. Als die beiden Jungen vorbeiliefen, hoben sie neugierig grunzend die Rüssel.
    In der verräucherten Küche der Bruchbude mit rußgeschwärzten Wänden und einem Fußboden aus festgestampftem Lehm verbreitete eine Funzel trübes Licht.
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