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Der Ramses-Code

Der Ramses-Code

Titel: Der Ramses-Code
Autoren: Michael Klonovsky
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Champollion!«
    Vor ihm stand der Pförtner des Instituts, den Schlüsselbund in der Hand.
    »Sie möchten absperren, nicht wahr? Ich bin gleich fort«, sagte Jean-François.
    »Ich soll Ihnen das hier geben«, erwiderte der Mann und überreichte ihm ein faustgroßes Päckchen.
    »Von wem?«
    »Von einer Dame.«
    »Was für eine Dame?«
    »Sie war verschleiert. Aber ich glaube, sie hat Ihrem Vortrag beigewohnt.«
    Von einer Ahnung ergriffen, riß Jean-François das Päckchen auf. Ein harter, ovaler Gegenstand kam zum Vorschein. Es war ein blauer Skarabäus. Als er ihn genauer betrachtete, war ihm, als begänne der Schmuckstein in seine Hand brennen. Er kannte diesen Skarabäus. Er kannte auch seine Besitzerin. Die verschleierte Frau war Madame Deschampes!
    Das Blut wich aus seinem Gesicht. Totenblaß fragte er den Pförtner: »Wo ist diese Dame hingegangen?«
    »Sie ist vor ein paar Minuten in eine Kutsche gestiegen und davongefahren«, erwiderte der Mann achselzuckend und erschrocken über die plötzliche Blässe des Gelehrten. »Ich sollte Ihnen das geben. – Ist Ihnen nicht gut?«
    »In welche Richtung ist sie gefahren?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Und die Kutsche kannten Sie auch nicht?«
    »Monsieur, eine Kutsche von vielen …«
    Jean-François ließ den Kopf sinken. Louise war gekommen und hatte sein Versprechen eingelöst: Wenn ich die Hieroglyphen entziffert habe, sehen wir uns wieder. Sie hatte ihn wiedergesehen. Beinahe vor ihm hatte sie gestanden! Warum hatte sie sich nicht zu erkennen gegeben? Weil dreizehn Jahre verstrichen waren und sie sich nicht mehr schön genug fühlte? Weil sie noch immer – oder wieder – verheiratet war und es sich nicht schickte? Weil sie befürchtete, daß er sie nicht mehr liebte? Weil sie ihn nicht mehr liebte? Weil alles vorbei war?
    Die Hieroglyphen habe ich entziffert, dachte er, aber Louise Deschampes ist mir ein Rätsel geblieben all die Jahre, bis heute, und sie wird es immer bleiben. Das Rätsel einer vertanen einmaligen Gelegenheit, vielleicht sogar eines nicht gelebten Lebens. Das Rätsel eines unbegreiflichen Verzichts, ohne den ich vielleicht niemals diesen Tag, diesen Triumph erlebt hätte. Das Rätsel der Erinnerung, von der ich Tölpel einst behauptet habe, ich werde ihr Genie sein – wo ich doch nur ihr Sklave war, ihr glücklich-trauriger Sklave – –
    »Monsieur, darf ich absperren?«
    Jean-François raffte seine Papiere zusammen, preßte die Faust um den Skarabäus und verließ das Institut.
    Die Nacht war sternenklar, der Mond stand über Paris. Jacques-Joseph erwartete den Bruder am Ausgang. »Wir sollten zur Feier des Tages eine Flasche Wein leeren«, sagte er.
    »Hast du denn Geld?« fragte Jean-François.
    »Du weißt doch, ein paar Sous habe ich immer irgendwo.«
    Als sie den Pont des Arts überquerten, sagte Jean-François: »Hast du die Dame in Schwarz gesehen?«
    »Eine merkwürdige Erscheinung, nicht wahr? Geht verschleiert, wie zu einer Beerdigung, zu einem wissenschaftlichen Vortrag. Keiner wußte, wer sie ist.«
    »Ich weiß es.«
    Jacques-Joseph blieb stehen. »War sie es? Die Frau aus Paris, von der du mir hin und wieder ein paar Andeutungen gemacht hast?«
    Jean-François nickte.
    »Und du wußtest es die ganze Zeit?«
    »Nein. Sie hat etwas zurückgelassen. Und daß sie in Schwarz kam, hatte schon seinen Sinn. Aber die ganze Geschichte erzähle ich dir beim Wein.«

EPILOG
    Im Februar 1823 erhielt Jean-François im Auftrage Ludwigs XVIII. eine goldene Dose, in welche eingraviert stand: »Von König Louis XVIII. für Monsieur Champollion den Jüngeren angelegentlich der Entzifferung des hieroglyphischen Alphabets«.
    Wenig später erschien in der englischen Zeitschrift Quarterly Review ein anonymer Artikel. Champollions Theorie sei für die Texte des pharaonischen Ägypten wertlos und lediglich für die Schreibung fremder Namen und Wörter geeignet, wurde darin behauptet. Damit begann eine jahrzehntelang nicht abreißende Serie von Versuchen, dem Entzifferer die Palme streitig zu machen und seine Arbeit zu verunglimpfen. Zu dieser Zeit schrieben sich die Pariser bereits Liebesbriefe mit Champollions Hieroglyphen-Alphabet.
    Thomas Young besuchte Champollion Anfang 1828 in Paris. Fasziniert von der Herzlichkeit und Freizügigkeit seines Gastgebers, der ihm sämtliche Materialien zur Verfügung stellte und seine neuesten Erkenntnisse darlegte, erkannte ihn Young als die erste Autorität in Fragen der altägyptischen Sprache an, beharrte
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