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Der Ramses-Code

Der Ramses-Code

Titel: Der Ramses-Code
Autoren: Michael Klonovsky
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Besuch und wurde auch nie in einer Gastwirtschaft gesehen. In Champollions Buchladen war er nur ein einziges Mal aufgetaucht und hatte nach einer Schrift des Philosophen Diderot verlangt, was Jacques Champollion verdächtig vorkam, einmal weil er überhaupt etwas gegen diese Verkünder neuer Ideen hatte, überdies weil er es seltsam fand, daß ausgerechnet ein zotteliger Eremit nach solcher Lektüre verlangte. Jacqou handelte mit Kräutertränken, magischen Steinen, Idolen und anderem Abwehrzauber gegen Dämonen, Krankheiten oder Mißernten. Oft ließ er sich monatelang nicht in der Stadt blicken. Er war Gegenstand skurriler Gerüchte, in die sich allerdings stets eine Spur Ehrfurcht mischte, denn seine Tränke hatten tatsächlich schon manchem Kranken Linderung verschafft.
    Als er hinter der alten Courbier das Haus betrat, lief Jaques-Joseph ein Schauer über den Rücken, und seine jüngste Schwester, die kleine Marie, begann zu weinen. »Nun, nun«, brummelte der Zottelbart, kümmerte sich aber nicht weiter um das verschreckte Kind, da er dergleichen Reaktionen auf sein Erscheinen offenbar gewohnt war. »Wo ist die Kranke?« wandte er sich an den Hausherren und ließ sich von ihm ins Schlafgemach führen.
    Jacqou leistete ganze Arbeit. Er hüllte Frau Champollion in Tücher, die er zuvor in einem Sud tränkte, den er aus mitgebrachten Ingredenzien undurchschaubarer Zusammensetzung am Herd gebraut hatte. Er legte die Kranke auf erhitzte Kräuter und murmelte dabei Beschwörungsformeln. Er bereiteteihr heißen Wurzelwein, bestrich ihre Brust mit einer stechend riechenden Salbe, legte einen alten Papyrus mit seltsamen Zeichnungen unter ihr Kopfkissen und ordnete an, dieser dürfe bis zur Genesung keinesfalls entfernt werden, da er heilende Kräfte besitze. Drei Tage hintereinander wiederholte er seine Prozeduren unter den Augen der teils neugierigen, teils furchtsamen Kinder, des zwar skeptisch dreinschauenden, sich aber an jede Hoffnung klammernden Ehemannes und der zu alledem wissend nickenden alten Nachbarin.
    Am Abend des dritten Tages verkündete er: »Sie wird wieder gesund!«
    »Wie: gesund?« fragte der Buchhändler und blickte auf seine blasse, apathisch daliegende Frau.
    »So gesund«, versetzte der Quacksalber, »daß sie noch in diesem Jahr einen Sohn gebären wird.«
    »Was für ein Unsinn«, lachte Jacques Champollion bitter, »meine Frau ist 42. Und sie liegt im Sterben.«
    »Sie wird noch in diesem Jahr einen Sohn gebären«, wiederholte der Eremit unbeirrt und setzte mit belegter Stimme hinzu: »Einen Sohn, dessen Ruhm die Jahrhunderte überdauern wird.« Jacqou sah in das ungläubige Gesicht des Hausherren, zuckte mit den Schultern, sprach: »Zahlt mir, was Ihr wollt, sobald sie gesund ist«, packte seine Sachen zusammen und verschwand, ohne sich umzublicken.
    »Ein Scharlatan!« zischte der Buchhändler.
    »Im Gegenteil«, versetzte die Alte.
    Wirklich trat Besserung ein, und nach kaum einer Woche konnte Frau Champollion erstmals wieder das Bett verlassen. Ihr vor Glück fassungsloser Gatte fiel ihr mit Tränen in den Augenwinkeln um den Hals – und machte seinen Laden, den er während ihrer Krankheit nicht betreten hatte, wieder auf. Er entlohnte Jacqou reichlich, vermied es aber, ihm das Geld persönlich auszuhändigen, und schickte statt dessen die alte Courbier.
    Schnell sprach sich herum, daß die Frau des Buchhändlers dank der Heilkünste des mysteriösen Einsiedlers genesen war, aber erst als Jeanne Champollion kurze Zeit späterschwanger wurde, dachte ihr Mann an Jacqous Prophezeiung. »Soso«, sagte er zu sich, »sie wird genesen, und sie wird einen Sohn gebären, hat dieser Verrückte gesagt. Und nun ist sie nicht nur gesund, sondern mit ihren 42 tatsächlich in Hoffnung.« Und er schüttelte den Kopf.
    Den dritten Teil der mysteriösen Ankündigung hatte Jacques Champollion vergessen. Am 23. Dezember 1790 kam sein Sohn – es war tatsächlich ein Sohn – zur Welt. Das Kind war so kräftig, daß es ungeachtet der Winterkälte schon am Morgen nach der Geburt zu der kleinen Bergkirche getragen werden konnte, wo Vikar Bousquet es auf den Namen Jean-François taufte. Neben seinem Vater stand Jacques-Joseph am Taufbecken, blickte auf das vom eiskalten Wasser benetzte und deswegen heftig brüllende Baby, dessen Pate er soeben wurde, und grübelte über die Worte des alten Zauberers. Aber im Laufe der Zeit vergaß auch er den letzten Satz des Orakels.

II
    An einem drückend heißen Julitag
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