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Der Ramses-Code

Der Ramses-Code

Titel: Der Ramses-Code
Autoren: Michael Klonovsky
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nicht, daß ein Ausländer erfährt, was dort geschrieben steht. Sie haben Herodot ja auch die Fabel aufgetischt, dem Pharao Cheops sei der Bau seiner Pyramide so teuer zu stehen gekommen, daß er zuletzt sogar seine Tochter in ein Hurenhaus schicken mußte, damit sie Geld dazuverdiene. Das habe ich noch nicht mal geglaubt, als ich noch ein Knirps war.«
    »Über diese Stelle bin ich auch immer gestolpert.«
    »Sag mal« – Jean-François zupfte den Älteren am Ärmel – , »was passiert eigentlich in einem Hurenhaus?«
    »Wie?« Jacques-Joseph wurde verlegen. »Na ja, dort verkaufen Frauen ihren Körper – an Männer.«
    »Und was tun die Männer dann?«
    »Sie vergnügen sich.«
    »Mit dem Körper der Frauen?«
    »Ja.«
    »Sie fassen sie überall an und so?«
    Jacques-Joseph nickte.
    »So wie es Ovid beschreibt?«
    Der Ältere mußte schmunzeln. Einem Knaben, der die antiken Schriftsteller las, war wohl kaum etwas vorzumachen.
    »Ovid hast du also auch schon gelesen?«
    »Seine ›Liebeskunst‹ stand bei Vater im Laden. Und die ›Metamorphosen‹. Die sind aber nicht so spannend. – Hast du selbst eigentlich schon …«
    »Was?« fragte Jacques-Joseph und runzelte die Stirn.
    »… ich meine nicht in einem Hurenhaus, soviel ich weiß, gibt es hier in Figeac keins, aber Mädchen gibt es …«
    »Das sind Dinge, die man für sich behält und nicht einmal seinem Bruder erzählt.«
    Eine Weile herrschte Schweigen.
    »Und du meinst, ich werde später ein berühmter Mann?« unterbrach Jean-François die Stille und sah den Bruder schelmisch von der Seite an. »Hast du auch eine Idee, wodurch ich berühmt werde?«
    »Das wird sich finden«, entgegnete dieser mit ernster Miene.
    Am nächsten Morgen unterbreitete Jacques-Joseph seinen Eltern den Vorschlag, daß er den Bruder nach Grenoble nachholen werde, sobald er dort Wohnung, Auskommen und eine angemessene Schule für Jean-François gefunden habe. Jeanne Champollion war zwar betrübt, als sie von diesen Plänen hörte, aber ihr Gatte befürwortete sie mit Entschiedenheit.
    Wenige Tage später reiste Jacques-Joseph ab. Es solltemehr als ein Jahr vergehen, bis er sein Versprechen wahrmachte. An einem sonnigen Junitag des Jahres 1801 bestieg ein überglücklicher Jean-François mit drei Koffern, zwei voller Bücher und Aufzeichnungen, einem mit Wäsche, die Postkutsche. Sein Vater küßte ihn verstohlen auf beide Wangen, leicht säuerlichen Weingeruch in der Nase des Jungen zurücklassend, und die Schwestern winkten und wünschten ihm viel Glück. Jeanne Champollion aber drückte den Halbwüchsigen lange an ihre Brust und bedeckte sein Gesicht mit Küssen – ganz als ob sie ahnte, daß sie ihren Jüngsten nie wiedersehen würde.

2
    Clifford Calderby, der zweite Baron des Namens Ravenglass, hatte seine Fassung wiedererlangt, seit sich die Fehlschläge des französischen Expeditionskorps in Ägypten häuften. Die Dienerschaft des hageren, schon früh ergrauten Adligen, vor dessen stechendem Blick sogar die Hunde kuschten, registrierte die stete Abnahme seiner Wutanfälle nach der morgendlichen Zeitungslektüre mit stiller Genugtuung. Allen Angestellten von Calderby Castle steckte noch der Schreck jenes Julitages 1798 in den Knochen, als die Nachricht von der Landung der französischen Armee in Ägypten eingetroffen war. Brüllend und tobend war Ravenglass an jenem Tag durch das Schloß gerannt, gräßliche Verwünschungen gegen Admiral Nelson ausstoßend, weil dessen im Mittelmeer kreuzende Flotte den Feind nach Afrika hatte durchschlüpfen lassen, er hatte ein Hausmädchen geschlagen und das Frühstück, das es ihm brachte, auf den Fußboden des Schlafzimmers geworfen, er hatte im Laufe der folgenden Wochen einen Koch und einen Diener wegen irgendwelcher Kleinigkeiten entlassen und eines Morgens den Globus im Arbeitszimmer zerschmettert. Erst als Nelson Anfang August die französische Flotte bei Abukir vernichtet und damit die in Ägypten stehenden Truppen des Generals Bonaparte von jeglichem Nachschub abgeschnitten hatte, begann die Wut des Barons etwas abzuebben.
    Ravenglass war ein glühender Patriot und vor allem Feind des ruchlosen Frankreichs. »Eisenschädel« nannten ihn die jungen Assessoren im Foreign Office heimlich, und in dieser Namensgebung hielten Respektlosigkeit und Bewunderung mindestens das Gleichgewicht. Ravenglass war einem halben Dutzend britischer Außenminister, den derzeit amtierenden Robert Jenkinson Lord Hawkesbury eingeschlossen, als
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