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Der Ramses-Code

Der Ramses-Code

Titel: Der Ramses-Code
Autoren: Michael Klonovsky
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Gedanken an die zu erwartende viertägige Sitzfleischmarter in einer schwankenden Kutsche. Vor der Freitreppe wartete der Sechsspänner. Früher war Ravenglass die Strecke oft geritten, aber irgendwann hatte er beschlossen, daß es sich für einen Gentleman seines Alters nicht mehr schicke, schwitzend in die Hauptstadt einzureiten.
    Ravenglass stieg in die Kutsche. Seine Laune besserte sich schlagartig, als er an das Ziel seiner Reise dachte. Er würde den Stein sehen.

3
    Silvestre de Sacy hatte schlecht geschlafen. Der berühmte Orientalist schlief schon seit mehreren Tagen miserabel, und er wußte ziemlich genau, warum. Es war dieser verfluchte Stein – vielmehr dessen Kopie, die, von der Ägyptenkommission mit einer der Lithographie verwandten Technik in Originalgröße abgezogen, in seinem Arbeitszimmer lag. Jean Chaptal, der Innenminister, hatte sie ihm gebracht; nicht bringen lassen, nein: Er war höchstpersönlich erschienen. Die Hoffnungen der Nation ruhten auf ihm, auf Silvestre de Sacy, Europas führendem Kopf in Fragen orientalischer Sprachen, hatte Chaptal gesagt; er, Sacy, wisse ja längst, was es mit dem Stein von Rosette auf sich habe, und nun erhalte er – natürlich er, wer sonst? – die erste Kopie des sensationellenFundes. Die Arbeit der Waffen und des Spatens sei getan, nun müsse die Arbeit des Geistes beginnen. Zwar befinde sich das Original im Besitz des Feindes, aber nur die Grande Nation verfüge über einen Sacy, und der werde die Niederlage auf dem Schlachtfeld in einen Sieg auf dem Felde der Wissenschaft umwandeln, da sei er, Chaptal, ganz sicher. Und der Erste Konsul ebenso. Es sei nämlich der Bürger Bonaparte gewesen, der angeordnet habe, dem Orientalisten umgehend die erste und zugleich die beste Kopie zu bringen, was er, der Innenminister, unbedingt persönlich habe erledigen wollen, denn auch ihm liege die Enträtselung der Sprache des Pharaonenvolkes sehr am Herzen. Schließlich hätten zahlreiche Söhne Frankreichs in Afrika ihr Blut dafür geopfert. Und so weiter.
    Während dieser sprudelnden Rede hatten zwei Lakaien die überdimensionale Papierrolle in Sacys Arbeitszimmer getragen – genaugenommen hatte einer der beiden sie getragen, während der andere grimmige Blicke um sich warf, als gelte es, das wertvolle Papier vor Strauchdieben zu schützen, die im Hauseingang oder hinter der Tür des Arbeitszimmers lauern mochten – und sie dort ausgebreitet.
    Natürlich war der Hausherr begierig gewesen, einen ersten Blick auf das in aller Munde befindliche Wunderding zu werfen, aber schon in diesen ersten Augenschein hatten sich Gefühle von Resignation gemischt. Ausgerechnet der hieroglypische Teil war am stärksten beschädigt, vermutlich war mehr als die Hälfte weggebrochen. Die Kursive in der Mitte, das am vollständigsten erhaltene Stück der Stele, offerierte sich als ein krudes, unterschiedsloses Gewirr von Strichen und Schnörkeln; es sah aus wie ein monströser graphischer Unfug und bot wenig Verlockung für einen angehenden Entzifferer. Das war vor sechs Monaten gewesen, und so widerspenstig und undurchsichtig, wie diese Schrift aussah, hatte sie sich denn auch in der Folgezeit erwiesen.
    Sacy stand auf und schlüpfte in seinen seidenen Morgenmantel. Er liebte die Berührung des weichen Stoffes; es war der einzige Luxus, den der asketische Gelehrte sich gönnte. Er klingelte nach dem Mädchen, denn er wollte den Morgenkaffeeim Arbeitszimmer trinken und zwei Stunden später auch das Frühstück dort einnehmen, begab sich in sein Allerheiligstes, einen weitläufigen Raum mit zwei Kaminen und drei großen Fenstern, der dem Vorbesitzer als Empfangssalon gedient haben mochte. Alle Wände des Zimmers waren bis an die Decke mit Regalen vollgestellt, in denen sich Bücher, Folianten und Schriftrollen stapelten; vor dem mittleren Fenster stand der klobige Schreibtisch aus Mahagoni, vor dem linken ein Stehpult. Eine kleine Sitzgruppe aus drei Sesseln und ein die Zimmermitte beherrschender großer Tisch bildeten die restliche Ausstattung der weitläufigen Gelehrtenstube.
    Silvestre de Sacy war Anfang Vierzig, wirkte aber deutlich älter. Er war mittelgroß, von schmächtiger, fast zierlicher Gestalt und ging stets leicht nach vorn gebeugt, als laste die doppelte Zahl an Jahren auf seinen dürren Schultern. Sein Kopf dagegen war von majestätischer Klobigkeit. Hellbraunes, hier und da in Grau übergehendes, ungeordnet-lockiges Haar umlohte eine gewaltige, von tiefen Furchen
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