Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Ramses-Code

Der Ramses-Code

Titel: Der Ramses-Code
Autoren: Michael Klonovsky
Vom Netzwerk:
Berater unentbehrlich geworden und hatte sie alle überlebt. Das Geschlecht der Calderbys stammte von der Isle of Man im Irischen Meer. Aufs Festland waren sie vor zwei Generationen übergesiedelt, in die ewig nebelverhangene Provinz Cumberland, ein seit Urzeiten zwischen Schotten und Engländern hartnäckig umkämpftes Gebiet. Noch 1745 hatten es im Solde der Franzosen stehende Hochlandrebellen gewagt, Cumberland anzugreifen, doch bei Culloden schlug sie der Sohn des britischen Königs vernichtend. An jenem ruhmvollen 27. April 1746 empfing der junge Infanterie-Obrist George Calderby auf dem Schlachtfeld als Lohn seiner Tapferkeit den Rang eines Barons Ravenglass. Dieser Ritterschlag auf des Vaters Schultern erfüllte den zweiten Baron – er kam drei Jahre nach der Schlacht zur Welt – seit jeher mit Stolz.
    Das Familienwappen mit den drei Harnischen forderte von jedem Betrachter: Kniefall vor England, Verachtung für Irland, Tritte gegen Schottland. Der Baron hätte dem Wappen gern einen vierten Aspekt hinzugefügt, denn so inbrünstig, wie er England liebte, so haßte er Frankreich, den unruhigen kontinentalen Nebenbuhler mit seinen Frivolitäten, seinem königsmörderischen Pöbel, seinen gottlosen Ideen – und seiner Armee unter dem jungen General Bonaparte, diesem korsischen Plebejer, dessen Schlachtenruhm seit fünf Jahren durch halb Europa hallte.
    Die Wut des cholerischen Barons auf die Franzosen hatte aber noch einen weiteren, durchaus sublimen Grund. Ravenglass, der früh seine Frau verloren hatte – sie war an den Pocken gestorben – und kinderlos geblieben war, besaß neben der Jagd, die er eifrig betrieb, und seiner Tätigkeit in der Frankreich-Abteilung des Foreign Office nur eine einzigeLeidenschaft: Er sammelte ägyptische Altertümer. Das war ein außergewöhnlicher und schwer zu bedienender Spleen, denn das sagenumwobene einstige Pharaonenreich befand sich formell in der Hand der Türken. Seit den Kreuzzügen hatte kein abendländischer Soldat mehr ägyptischen Boden betreten. Zwar plädierte Ravenglass im Foreign Office notorisch für eine Invasion, weil das zwischen zwei Meeren gelegene Nilland von Natur aus bestimmt sei, Afrika und Asien mit Europa zu verbinden, denn das eine Meer sei die Pforte zum Orient, das andere die zum Okzident, und England könne mit einer Besetzung jenes Nadelöhrs seine Handelswege sichern und ausbauen, doch bislang hatte der Baron bei seinen wechselnden Ministern nie Gehör gefunden. Schweigend und unerschlossen lag sein Traumland, so schweigend und unerschlossen wie die gewaltigen Altertümer, die es barg und die Ravenglass’ Phantasie beschäftigten, seit er als Kind in den Schriften antiker Autoren von ihnen gelesen hatte.
    In einem eigens dafür hergerichteten Kabinett seines Landsitzes hortete der Baron Papyri, Skulpturenfragmente, bemalte Fayenceplättchen, Ostraka, mit Hieroglyphen bedeckte Kalksteinsplitter – allerlei Artefakte eben, die ihm entweder der britische Konsul, dem die Passion des Barons einen guten Nebenverdienst bescherte, aus Kairo zukommen ließ, die er in Kuriositätenkabinetten aufstöberte oder gelegentlich Orientreisenden, einer mithin überaus seltenen Spezies, abzuhandeln verstand. Ravenglass konnte die Liebenswürdigkeit selbst sein, wenn es darum ging, etwa eine kleine Osiris-Statuette in seinen Besitz überwechseln zu lassen.
    Seit längerem überlegte er, ob er nicht selbst einmal das Nilland bereisen sollte, aber im Grunde haßte er das Reisen (und der Mann verstand zu hassen). Allein die Kutschfahrten von seinem Landsitz nach London, wo er am Grosvenor Place, am Westrand von Queen’s Garden, eine großzügige Wohnung besaß, waren ihm zuwider. Immerhin dauerte eine Fahrt vier Tage. Und wie weit entfernt lag Afrika! Er würde sich über mehrere Wochen einem schwankenden Schiff anvertrauen müssen, aber Ravenglass hatte eine ganz und gar unbritische Aversion gegen Wasser, Häfen und Schiffe, ja,man könnte sagen, er haßte sogar das Meer. Außerdem war man, wie Ravenglass wußte, in Ägypten ohne militärisches Geleit seines Lebens nicht sonderlich sicher. Die Mamelucken-Beis, die eigentlichen Herrscher des Landes, lieferten sich nicht nur fortwährend Scharmützel mit den türkischen Besatzungstruppen, sondern sie drangsalierten auch die Bevölkerung in einem Maße, das europäischen Vorstellungen von Zivilisation und Staatlichkeit aufs ärgste zuwiderlief. Reisende berichteten von Sklaverei und Tyrannei, von Chaos und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher