Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der raffinierte Mr. Scratch: Roman (German Edition)

Der raffinierte Mr. Scratch: Roman (German Edition)

Titel: Der raffinierte Mr. Scratch: Roman (German Edition)
Autoren: Michael Poore
Vom Netzwerk:
riesigen Büffelherden über die endlosen Prärien streifen und sterben sehen. Er hatte gesehen, wie die Pferdekulturen kamen und vergingen. Er hatte die Planwagen der Siedler durch die Meere aus Präriegras ziehen sehen, bis sie verschwunden waren. Er hatte die Zeit der Großen Depression gesehen mit ihrem Elend und ihren halb verhungerten Menschen, bis auch diese Epoche der Vergangenheit angehörte.
    Heute zogen sich Highways zwischen Strommasten und Funktürmen hin. Neben einem dieser Highways parkten drei VW -Busse, angemalt wie Zirkuswagen. Einer rot, einer grün mit psychedelischen Mustern, der dritte schwarz und spacig wie aus dem Weltraum. Um die Busse herum war ein Dorf aus Zelten, Laternen und Lagerfeuern entstanden. Und in diesem improvisierten Dorf lag der sagenhafteste Gitarrist der Welt im Sterben.
    Die Zeitschrift Rolling Stone hatte ihn so genannt, damals in San Francisco. Sein richtiger Name lautete Dan Paul Overfield. Die Leute in dem Zeltdorf waren seine Roadies, und die Jungs gehörten seiner Band an. Es war die große Zeit der Hippies, und sie waren noch jung genug zu glauben, dass »Peace and Love« zum Leben reichten.
    Dan Paul Overfield lag flach auf dem Rücken in einem Zelt. Er weigerte sich, ein Krankenhaus aufzusuchen, und das machte den Kids Angst. Sie wussten nicht, was sie tun sollten, doch was immer getan werden musste, sie wollten es richtig machen. Schließlich würde der Rolling Stone dem sagenhaftesten Gitarristen der Welt mit großer Wahrscheinlichkeit seinen Tribut zollen, und sie alle wollten als tatkräftige, beherzte Typen dastehen.
    Das sternenübersäte Firmament war kein Trost. Es erinnerte sie vielmehr daran, wie fern sie von Zuhause waren – wobei Zuhause mindestens so viele verschiedene Ecken der Welt meinte, wie es Sternbilder gab.
    Memory, die Sängerin, war groß und hübsch. Sie wurde Memory genannt, weil sie unter Amnesie litt und sich an nichts aus ihrer Kindheit und frühen Jugend erinnern konnte. Sie schätzte, dass sie um die zwanzig war, und die Ärzte hätten sie zu gerne studiert – hätte Memory sie gelassen.
    Mark »Fish« Fisher, der Drummer, stammte aus Kalifornien. In seinen Augen lag ein verschlagener Ausdruck. Das wusste er auch; deshalb trug er rund um die Uhr eine Sonnenbrille.
    Zachary Bull Horse, der Bassist aus Arizona, war zu neun Zehnteln Apache. Zachary war ein großer Bursche, und man konnte jetzt schon sehen, dass er mit zunehmendem Alter dick und fett werden würde.
    Die drei saßen um Dan Paul herum, der aussah, wie Gott vielleicht mit dreißig ausgesehen hatte. Das Hemd aufgerissen, halb schlafend.
    Alles hätte großartig sein können für ihn und seine Band (die Dan Paul Overfield Band), wäre nicht sein schwaches Herz gewesen.
    »Es kann jeden Tag aussetzen«, hatte er ihnen vor einem Jahr eröffnet, als sie zum ersten Mal für Geld gespielt hatten. »Jede Sekunde.«
    Sie hatten ihm geglaubt, doch es war ihnen unwirklich erschienen – bis zum heutigen Tag, als sie am Straßenrand haltgemacht hatten, um in Kansas zu campieren. Dan Paul hatte wie üblich ein Feuer gemacht und gekocht. Plötzlich war er umgekippt, einfach so. Er konnte von Glück sagen, dass er nicht ins Feuer gefallen war.
    »Legt ihn in den roten Bus!«, hatte Memory gekreischt. »Der ist bis jetzt noch nie stehen geblieben! Wo war die letzte Stadt, durch die wir gekommen sind? Ist es weiter als bis zur nächsten?«
    »Scheiße, wenn ich das wüsste«, grollte Fish. »Hat jemand ’ne Karte?«
    Zachary, der Riese, nahm Dan Paul auf die Arme und wollte ihn zum roten Bus tragen.
    »Leg mich in mein Zelt«, sagte Dan Paul.
    Also hatte Zachary ihn in sein Zelt gelegt, und sie hatten sich um ihn herum versammelt. Memory hatte ihm das Hemd aufgerissen, weil es ihr richtig und vernünftig erschienen war.
    Nun saß sie mit untergeschlagenen Beinen da, Dan Pauls Kopf im Schoß, massierte seine Schläfen und summte leise.
    Zachary saß zu seiner Linken wie ein riesiger Apachen-Buddha.
    Fish steckte mit Kopf und Schultern im Zelt und verharrte über Dan Pauls Füßen.
    »Warum willst du nicht ins Krankenhaus?«, wollte er wissen.
    Dan Paul flüsterte mit schwacher Stimme eine Antwort.
    »Er sagt, es ist zu spät«, sagte Memory.
    Dan Paul flüsterte noch etwas.
    Er wollte, dass sie sangen.
    »Jesses«, murmelte Fish.
    Memory dachte über den richtigen Song nach.
    Dan Paul hatte all ihre Lieder geschrieben. Der Rolling Stone in San Francisco hatte wissen wollen, worum es in
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher