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Der Puppenfänger (German Edition)

Der Puppenfänger (German Edition)

Titel: Der Puppenfänger (German Edition)
Autoren: Joana Brouwer
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sie einer Frau Beate Buttenstett.«
    Warum verlor Frau Buttenstett hier am Teich ihre Geldbörse, dachte Dieter, ehe seine Phantasie zu arbeiten begann, er begriff und das mögliche Geschehen – ähnlich wie in einem Film – vor seinen Augen ablief. Sein Herz begann so schnell zu schlagen, dass er meinte, es müsste ihm den Brustkorb sprengen. Er nahm die Hände aus den Hosentaschen und verließ mit weit ausholenden Schritten den Randstreifen des Teiches, begann zu rennen und rief nach Michel. Der Verkehrsunfall, dröhnte es in seinem Kopf. Ein Mann wurde getötet. Der Fahrer beging Fahrerflucht. Etwa zur gleichen Zeit rief Beate Buttenstett in Osnabrück an und bat Heide um ihre Hilfe. Sie hatte ihrem Freund Thomas Orthes ein Alibi verschaffen wollen. Hatte sich benommen, als wäre er bei ihr, als sie mit Heide telefonierte. »Sie ist es! Sie ist der Komplize , über dessen Identität ich mir unentwegt den Kopf zerbrochen habe.«
    *
    Als Heide aufwachte und die Augen öffnete, begriff sie zuerst nicht, was geschehen war und wo sie sich befand. Ihre Mundhöhle war ausgetrocknet, auf ihrer Zunge klebte ein pelziger, eklig schmeckender Belag, ihre Lippen waren rissig und geschwollen, und ihr Schädel fühlte sich an, als hätte sie nächtelang durchgefeiert und viel zu viel Alkohol getrunken. Eine Deckenlampe mit einem rundum laufenden Schutzgitter warf ein armseliges Licht auf die raue Brettstruktur einer niedrigen Betondecke. Heide hob ihren Kopf leicht an, sah die unteren Holzböden der Vorratsregale und die pedantisch in Reih und Glied stehenden Weckgläser auf den Regalböden und wusste ganz plötzlich Bescheid. Sie lag auf dem Estrichboden eines Vorratskellers, vor einer stinkenden, rotbraunen Obstpampe und unzähligen Glasscherben. Ihre Bluse war klatschnass. Sie fror, bemerkte, dass ihre Handgelenke fast noch mehr schmerzten als Arme, Kopf und Beine, und registrierte, dass sie noch immer am Heizungsrohr festgebunden war und die Paketschnur einen brennenden, wunden Ring um ihre Handgelenke gezeichnet hatte. Sie erinnerte sich daran, dass Beate ihr, nachdem sie die Weckgläser auf den Fußboden geworfen hatte, gewaltsam eine wasserähnliche Flüssigkeit eingeflößt hatte. Als Heide den größten Teil davon sofort wieder ausgespuckt hatte, war Beate sehr wütend geworden und hatte ihr zwei Mal mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen.
    ›Aufs Maul‹, hatte sie dabei gebrüllt. ›Dann haue ich dir eben eine aufs Maul, du Angeberin. Das kann ich gut. Ich hab es mir bei meinem Vater abgeguckt und weiß, wie weh das tut.‹ Nach ihrem entsetzlichen, furchteinflößenden Wutausbruch war Beate gegangen. Sie hatte an dem altmodischen Drehschalter das Licht ausgeknipst und es erst wieder eingeschaltet, als Heide zuerst laut schrie und schimpfte und sich dann – weil Schimpfen und Fluchen nicht zum Ziel führten – aufs Bitten und Betteln verlegte. Sie hatte so lange gefleht, bis die armselige Funzel unter lautem Gelächter wieder angeknipst wurde.
    In diesem alten, ländlich gelegenen Gebäude wohnten sicherlich viele Tiere. Mäuse – Mäusefamilien – Mäusedynastien –, Mäusephobie – dachte Heide. Ihr älterer Bruder Christian hatte vor vielen Jahren eine Feldmaus in einen ihrer Gummistiefel gesetzt und den Schaft mit dem anderen Stiefel verschlossen. Als die fünfjährige Heide ihren Fuß in die nächtliche Mausunterkunft geschoben hatte, war das verschreckte Tierchen herausgesprungen, hatte dem kleinen Mädchen einen Wahnsinnsschrecken eingejagt und ihr damit die Gattung der Mäuse insgesamt für immer verleidet. Seither ekelte sie sich vor keinem Tier mehr als vor einer Maus. Sie stützte sich, so gut es ging, auf dem rechten Ellenbogen ab und ließ den Blick durch den Kellerraum gleiten. Das Licht schützte sie zwar nicht vor den verhassten Vierbeinern, aber falls sie tatsächlich auftauchten, konnte Heide sie im Hellen wenigstens sehen und sie möglicherweise sogar vertreiben.
    Sie war entsetzlich müde. Wahrscheinlich hatte Beate ihr irgendein Schlafmittel eingeflößt, von dem sie zwar einen großen Teil ausgespuckt hatte, aber eben nicht alles. Sie legte den Kopf zurück auf den Steinboden und fragte sich, wie viele Stunden sie bereits in dem Keller festgehalten wurde. Gleichzeitig musste sie sich eingestehen, dass sie jegliches Zeitgefühl verloren hatte. Celias Geburtstagsbrunch musste längst beendet sein. Man würde sie vermisst haben. Isabel hatte sich sicherlich mit Helen in Verbindung
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