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Der Professor

Titel: Der Professor
Autoren: John Katzenbach
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wusste, dass er sie jetzt besaß. Die befreundeten Kollegen an der Fakultät wären zutiefst schockiert, wenn sie wüssten, dass er im Besitz dieser Waffe war. Eine hässliche Waffe, mit der nicht zu spaßen war und die kein Hehl daraus machte, wozu sie diente. Er hatte sie nie angemeldet, schließlich war er weder Jäger noch Mitglied der nationalen Schusswaffenvereinigung. Für die Cowboy-Mentalität, wonach der Besitz einer Waffe zum Recht auf Selbstverteidigung gehört, hatte er nur Verachtung übrig. Er war sich ziemlich sicher, dass seine Frau über die Jahre vergessen hatte, dass sich die Ruger noch im Haus befand, falls sie es überhaupt je mitbekommen hatte. Er hatte nie mit ihr darüber gesprochen, nicht einmal, als sie nach ihrem Unfall tapfer durchhielt, obwohl ihre Blicke keinen Zweifel daran ließen, dass sie sich nach Erlösung sehnte.
    Hätte er den Mut gehabt, dachte er, hätte er ihr den Wunsch mit der Ruger erfüllen können. Jetzt stand er vor derselben Frage, und er wusste, dass es feige von ihm war, sich so davonzustehlen. Wäre es, wenn er sich den Lauf an die Schläfe setzte oder in den Mund hielt und abdrückte, erst der zweite Schuss, der je mit diesem Revolver abgefeuert wurde? Seine schwarze, metallische Oberfläche schien herzlos. Das Ding fühlte sich schwer und eiskalt an, als er es auf der flachen Hand wog.
    Adrian ließ die Automatik aufs Bett fallen und drehte sich zu der Kappe um. Sie meldete sich in diesem Moment genauso laut zu Wort wie die Ruger. Er kam sich vor, als steckte er mitten in einer Auseinandersetzung zwischen zwei leblosen Gegenständen, die sich darüber stritten, was er machen sollte.
    Er holte tief Luft und dachte nach. Plötzlich war es im Zimmer merkwürdig still, als hätten seine Selbstmordpläne einen höllischen Lärm gemacht, der abrupt verstummt war.
Das Mindeste, was er tun konnte,
überlegte er,
war ein kurzer Anruf bei der Polizei
. Das schien die Kappe von ihm zu verlangen.
    Er griff zum Telefon und wählte den Notruf. Es entbehrte nicht der Ironie, dass er zuerst wegen einer Fremden anrief, um wenig später eine Meldung in eigener Sache durchzugeben.
    »Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienst. Was für einen Notfall haben Sie zu melden?«
    »Es ist kein Notfall im strengen Sinne«, sagte Adrian. Er legte Wert darauf, dass seine Stimme nicht zitterte und verriet, dass er sich seit seinem Besuch beim Neurologen vor wenigen Stunden plötzlich wie ein alter Mann vorkam. Er wollte energisch und geistesgegenwärtig klingen. »Ich rufe an, weil ich einen Vorfall beobachtet habe, der möglicherweise für die Polizei von Interesse ist.«
    »Was für einen Vorfall?«
    Er versuchte, sich die Person am anderen Ende der Leitung vorzustellen. Der Mann in der Einsatzzentrale hatte es sich offenbar zu eigen gemacht, die Worte einzeln zu betonen, um Missverständnisse auszuschließen. Sein Ton war professionell ungerührt und sachlich, als käme jeder Satz, den er zu sagen hatte, im steifen Uniformkragen daher.
    »Ich habe einen weißen Kleintransporter gesehen … Da war dieses junge Mädchen, Jennifer, das steht innen an ihrer Kappe, aber ich kenne sie nicht, auch wenn sie hier irgendwo in der Nähe wohnen muss. Eben ist sie noch da, und im nächsten Moment ist sie verschwunden …«
    Adrian hätte sich ohrfeigen können. All seine Vorsätze, vernünftig und dynamisch zu klingen, hatten sich in einer Flut abgehackter, schlecht formulierter, voreiliger Beschreibungen aufgelöst.
War das schon die Krankheit, die seine Sprachfähigkeit in Mitleidenschaft zog?
    »Ja, Sir. Und was genau glauben Sie, beobachtet zu haben?«
    Es piepste in der Leitung. Er wurde auf Band aufgenommen. »Haben Sie eine Vermisstenmeldung zu einer Jugendlichen in der Gegend von Hills?«, fragte er.
    »Derzeit keine. Jedenfalls nicht von heute«, antwortete der Mann in der Einsatzzentrale.
    »Nichts?«
    »Nein, Sir. Es war in der ganzen Stadt ein ausgesprochen ruhiger Nachmittag. Ich werde Ihre Meldung aufnehmen und an das Kriminalkommissariat weiterreichen, für den Fall, dass später noch was reinkommt. Die werden sich dann, falls nötig, mit Ihnen in Verbindung setzen.«
    »Vermutlich habe ich mich getäuscht«, sagte Adrian. Er legte auf, bevor der Mann Zeit hatte, ihn nach seinem Namen und seiner Anschrift zu fragen.
    Adrian sah auf und blickte aus dem Fenster. Es war Nacht geworden, und in der ganzen Straße gingen die Lichter an. Zeit fürs Abendessen, dachte er. Zeit für die Familie. Man
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