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Der Professor

Titel: Der Professor
Autoren: John Katzenbach
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beruhigen.«
    Allerdings bezweifelte Terri, dass ihnen das gelingen würde.
    »Verstanden«, sagte der Beamte und trennte die Leitung.
    Laurie würde es in einer halben Stunde zu ihr schaffen. Terri mochte die Vorstellung, dass ihre Freundin ein fester Bestandteil jeder Ermittlung oder jedes Tatorts war, zu denen Terri gerufen wurde, nicht weniger wichtig als ein Kriminaltechniker oder Fingerabdruckexperte. Es war eine harmlose kleine Phantasievorstellung. Sie kehrte ins Bad zurück, spritzte sich ein wenig Wasser ins Gesicht und bürstete sich das Haar. So spät es auch war, wollte sie inmitten der verzweifelten Panik, die ihr gleich entgegenschlagen würde, frisch, gepflegt und außerordentlich kompetent erscheinen.
     
    Es war dunkel auf der Straße, und in den Häusern brannten nur noch wenige Lichter, als Terri durch das Viertel von Mrs. Riggins fuhr. Das einzige Haus, in dem auf den ersten Blick noch jemand wach zu sein schien, war dasjenige, zu dem sie gerufen worden war. Das Licht an der Eingangsveranda schien hell, und Terri sah, dass sich im Wohnzimmer Gestalten bewegten. Ein Streifenwagen parkte in der Einfahrt, doch die Einsatzbeamten hatten das Blaurotlicht ausgelassen, so dass sich der Wagen unauffällig unter die anderen Fahrzeuge mischte, die auf den morgendlichen Exodus zur Arbeit oder zur Schule warteten.
    Terri fuhr in ihrem zerbeulten, sechs Jahre alten Kleinwagen vor. Sie blieb einen Moment sitzen, um tief durchzuatmen, dann nahm sie ihre Umhängetasche mit Mikrokassettengerät und Notizbuch. Sie heftete ihre Dienstmarke an den Riemen der Tasche. Ihre Halbautomatik befand sich im Holster auf dem Sitz neben ihr. Nachdem sie sich noch einmal vergewissert hatte, dass sie gesichert und die Patronenkammer leer war, befestigte sie die Waffe am Gürtel ihrer Jeans. Sie trat in die Nacht hinaus und lief über den Rasen zum Haus.
    Sie hatte diese Fahrt im Lauf der letzten anderthalb Jahre schon zweimal gemacht. Ihr Atem bildete weiße Wolken. Es war kälter geworden, allerdings nur so viel, dass man sich in Neuengland die Jacke ein bisschen enger zog und vielleicht den Kragen hochschlug. Es war eine klare, nächtliche Kälte, nichts im Vergleich zum strengen Winterfrost, eigentlich nur eine eindeutige Warnung, dass der Frühling zwar gelegentlich versuchte durchzudringen, aber noch nicht ganz angekommen war.
    Terri wünschte sich, sie wäre erst kurz drüben am Revier vorbeigefahren und hätte in ihrem Vier-Personen-Kommissariat ihre Akte über die Familie Riggins gezogen, auch wenn sie zuversichtlich war, dass sie jede Einzelheit und jede Notiz in diesen Berichten im Gedächtnis abgespeichert hatte. Sie hasste das Gefühl, in einen Tatort hineinzumarschieren, der in Wahrheit etwas ganz anderes war, als es der erste Anschein nahelegte.
Eine minderjährige Ausreißerin,
so würde sie es fürs Dezernat formulieren, und so würde das Kommissariat den Fall auch behandeln. Sie wusste genau, was für Schritte sie unternehmen musste und welche Vorgehensweise für einen solchen Fall von Verschwinden in den Dienstvorschriften stand. Sie hatte sogar eine vage Ahnung vom wahrscheinlichen Ausgang des Falls.
    Doch das war nur die Spitze des Eisbergs, rief sie sich ins Gedächtnis. Es gab einen tieferen Grund dafür, dass Jennifer beharrlich versuchte wegzulaufen, und es stand zu vermuten, dass sich hinter ihrem unbeirrbaren Wunsch, von zu Hause wegzukommen, ein dunkles Geheimnis verbarg, vielleicht das eigentliche Verbrechen in diesem Fall. Terri hegte einfach nur wenig Hoffnung, dass sie es je ans Licht bringen würde, egal, wie viele Aussagen von der Mutter oder ihrem Freund sie aufnahm oder wie hart sie an dem Fall arbeitete. Sie hasste den Gedanken, sich mit diesem verlogenen Spiel zu arrangieren.
    Auf den Eingangsstufen zögerte sie. Einen Moment dachte sie an ihre eigenen beiden Kinder, die zu Hause fest schliefen und gar nicht gemerkt hatten, dass sie nicht mit geöffneter Tür in ihrem kleinen Schlafzimmer am Ende des Flurs lag und eine gedimmte Lampe anhatte, um sofort aufzuspringen, falls sie irgendwelche seltsamen Geräusche hörte. Sie waren noch so klein, dass der Kummer und die Sorgen, die sie ihr einmal machen würden – denn wer blieb schon davon verschont –, noch in weiter Ferne lagen.
    Jennifer war da um einiges weiter.
In so mancher Hinsicht weiter,
musste Terri denken. Wie einen letzten Schluck Wasser aus einem Glas trank sie noch einmal die Nachtluft. Sie klopfte einmal, öffnete dann selbst
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