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Der Preis des Lebens

Der Preis des Lebens

Titel: Der Preis des Lebens
Autoren: Christian Endres
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Bettler auf seinem Lumpenbündel, die Faust fest um seine Münzen geschlossen.
Ein paar Minuten beobachtete Visco die Ruine noch aus seinem Versteck heraus.
Dann schlenderte er selbstsicher über die Straße und auf die geschliffene Frontseite des Hauses zu, wo nur noch eine rußumrandetes Rechteck zwischen den angenagten Mauerresten an die Eingangstür erinnerte.
»Ich würde stehen bleiben, wenn ich du wäre.« Visco folgte der körperlosen Anweisung aus dem Dunkel, wurde langsamer und blieb drei Meter vor der Ruine stehen.
»Was willst du hier?« Die Stimme klang gedämpft; Visco konnte den Sprecher nicht auf Anhieb lokalisieren.
»Vergnügen«, antwortete er so lässig wie möglich.
Sein Abend im Sichelmond hatte bewiesen, dass er immer noch wusste, wie man sich in gewissen Kreisen bewegte, ohne direkt einen Verdacht zu erwecken oder mit scharfen Raubtiersinnen abgetastet zu werden. »Ich werde jetzt in meinen Umhang greifen«, sagte Visco, um die Aufmerksamkeit des Sprechers auf die Bewegungen seiner Hände zu richten. »Darin befindet sich ein Zettel. Eine Einladung . Sagt Euch der Name Aldair Moranesa etwas?«
»Vielleicht«, antwortete die Stimme zögerlich.
Idiot, dachte Visco, kramte Aldairs Papierfetzen hervor und hielt ihn wie einen Passierschein vor sich.
»Er hat gesagt, ich soll an seiner Stelle herkommen. Er vergnügt sich derweil anderweitig im Sichelmond.«
»Was hat Aldair noch gesagt?« »Einiges – und nichts davon gehört auf offener Straße besprochen. Am Ende hört noch ein Jagam das Gesagte ...«
»Gute Antwort.« Kurz umfing eisiges Schweigen Visco und die Straße vor der Hausruine. Dann hörte der bekehrte Vampir ein leises Quietschen und richtete den Blick überrascht nach unten. Der Boden vor ihm bewegte sich wie von Zauberhand. Die Straße gebar eine kleine Luke, deren hölzerne Abdeckung nach hinten aufklappte. Ein schwacher Lichtschimmer drang so gedämpft wie die Stimme zuvor nach oben.
»Komm rein, Kumpel«, ertönte es aus der schummrigen Tiefe.
Visco trat ohne zu zögern auf die grob behauenen Steinstufen, die Hand in der Nähe des geschwungenen Griffs seines Rapiers.
Der Türsteher, der unten auf ihn wartete, war extrem blass, trug Hemd und Hose schwarz und eng anliegend und das dunkle Haar lang und glatt zu einem Pferdeschwanz gebunden – ein jüngeres Abbild seiner selbst in schlechteren Jahren.
»Ein Freund von Aldair also, mh?«, fragte der Vampir-Geck mit hochgezogenen Augenbrauen und fuhr sich über den kurzen, sauber getrimmten schwarzen Ziegenbart.
» Freund wäre wohl zu viel gesagt«, entgegnete Visco wahrheitsgemäß. Er wusste nicht, was es gebracht hätte, sich als Busenkumpel eines kleinen Schmalspurganoven wie Aldair auszugeben. »Er schuldet mir Geld«, erklärte Visco neutral. »Als Anzahlung und um mich hinzuhalten, schätze ich, hat er mir diese Einladung gegeben.« Ein lässiges Schulterzucken unter dem Umhang. »Dachte, ich seh' es mir wenigstens mal an.«
»Kein schlechter Handel«, meinte der andere und nahm den Zettel entgegen. Er lehnte entspannt an der grobporigen Wand des Ganges. Zwei Kerzen und eine Öllampe auf einer umgedrehten Holzkiste am Boden spendeten einen Hauch von Helligkeit, verbreiteten aber auch wirkungsvoll tanzende Schatten. Der Türsteher überflog das Schreiben, prüfte die zweistellige Nummer am Fuß des Blattes und nickte zufrieden.
»Richtig geraten. Da hinten steigt das große Fest«, prahlte er, als er Viscos neugierige Blicke den Gang mit der niedrigen Decke entlang bemerkte.
»Danke.« Visco nickte dem Kerl knapp zu und tippte sich an die Stirn. »Und immer schön aufpassen, wen du reinlässt, mh?«
»Immer, Kumpel, immer ...«
Visco lächelte und zeigte seine scharfen, langen Eckzähne – und hatte seine Hände seitlich am Kopf des Türstehers, ehe dieser auch nur das falsche Schlangenlächeln erwidern konnte.
Ein harter Ruck, und der jung aussehende Vampir in Schwarz sank lautlos zu Boden. Drei Sekunden später drang Viscos Rapier tief in sein langsam schlagendes Herz, das jenseits des Lebens, aber auch jenseits des Todes gelegentlich pochte.
Visco sah nicht dabei zu, wie das Leben und die Zeit sich von dem Vampir nahmen, was ihnen zustand, und eilte bereits durch den düsteren Gang, noch ehe am Fuß der Treppe nur noch ein Häufchen hellgrauen Staubs zurückblieb.
*
    »Wir wissen, dass du wach bist, Jägerlein ...« Das Säuseln, das aus mehreren Kehlen jenseits von Männlich- oder Weiblichkeit zu kommen schien, wies Lorn
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