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Der Preis der Ungleichheit: Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht (German Edition)

Der Preis der Ungleichheit: Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht (German Edition)

Titel: Der Preis der Ungleichheit: Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht (German Edition)
Autoren: Joseph Stiglitz
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Fernseher besitzen, bedeutet keineswegs, dass sie nicht in tiefer Armut lebten – und bedeutet auch nicht, dass sie am amerikanischen Traum teilhätten. 103
    Der dritte Einwand bezieht sich auf die statistischen Daten, an denen herumgedeutelt wird. Einige behaupten, die Inflationsrate werde zu
hoch geschätzt, so dass die Einkommenszuwächse zu niedrig veranschlagt würden. Ich vermute indes, dass die Schufterei der typischen amerikanischen Familie in den Zahlen allenfalls unterschätzt wird. Wenn Familienmitglieder Überstunden machen, um ihren Lebensstandard  – »für die Familie« – zu halten, leidet oft das Familienleben. Auch die oben angesprochene zunehmende Unsicherheit, mit der die Armen und die Mittelschicht in Amerika konfrontiert sind, spiegelt sich in den Einkommensstatistiken nicht wider. Das wahre Ausmaß der Ungleichheit ist vermutlich viel größer als aus der Bemessung der Einkommensunterschiede hervorgeht. So korrigierte etwa das US-Bundesamt für Statistik die Armutsquote für das Jahr 2010 von 15,2 auf 16 Prozent, als es die Armutsstatistiken gründlicher analysierte. 104
    Das letzte Gegenargument der Konservativen bezieht sich auf eine ökonomische und moralische Rechtfertigung der Ungleichheit, verbunden mit der Behauptung, bei dem Versuch, etwas dagegen zu unternehmen, werde man »die goldene Gans schlachten« und die US-amerikanische Volkswirtschaft so schwächen, dass die Armen noch schlechter dastünden als heute. 105 Ungleichheit, so sagte Mitt Romney, sei so ein Thema, über das man nur im stillen Kämmerlein und im privaten Rahmen diskutieren solle. 106 Die Armen seien in diesem Land der unbegrenzten Möglichkeiten an ihrem Elend selber schuld.
    In den folgenden Kapiteln werde ich auf diese Argumente eingehen. Ich werden zeigen, dass wir die allermeisten Armen nicht für ihre Not verantwortlich machen sollten und dass an der Behauptung der Reichen, sie hätten ihr Geld »aus eigener Kraft« verdient, nicht viel dran ist. Wir werden sehen, dass das obere eine Prozent sein Einkommen im Großen und Ganzen nicht bedeutenden gesellschaftlichen Beiträgen verdankt, weil es beispielsweise als große Denker unser Verständnis der Welt verändert oder als große Innovatoren unsere Wirtschaft umgestaltet hätte. Ich werde auch darlegen, weshalb die Schaffung einer Gesellschaft mit einem geringeren Maß an Ungleichheit eine dynamischere Wirtschaft hervorbringen kann.
    Das Trauma der Großen Rezession – in deren Gefolge viele Menschen ihren Arbeitsplatz und ihr Heim verloren haben – löste eine Kettenreaktion aus, die sich nicht nur auf das Leben der unmittelbar Betroffenen, sondern auch auf die Gesellschaft als solche auswirkt. Wir erkennen jetzt, dass die Wirtschaft schon vor der Rezession nicht das
zum Wohle der meisten Amerikaner leistete, was sie hätte leisten sollen. Wir können vor der wachsenden Ungleichheit in den Vereinigten Staaten und deren gravierenden ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Folgen nicht mehr die Augen verschließen. Aber wenn wir verstehen wollen, was wir dagegen tun können, müssen wir zunächst die ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Kräfte verstehen, die diese Ungleichheit hervorbrachten.

KAPITEL 2
Rent-Seeking und die Entstehung sozialer Ungleichheit
    Die Ungleichheit in den USA ist nicht vom Himmel gefallen. Sie wurde gemacht. Marktkräfte spielten dabei eine Rolle, aber die Marktkräfte allein waren es nicht. Dies sollte in gewisser Weise offenkundig sein: Ökonomische Gesetze sind allgemeingültig, zunehmende Ungleichheit jedoch – insbesondere im Hinblick auf die Einkommensbeträge, die sich das obere eine Prozent aneignet – ist eine typisch amerikanische »Leistung«. Die Tatsache, dass ein überhöhtes Maß an Ungleichheit nicht unvermeidlich wie ein Schicksal ist, gibt Grund zur Hoffnung; dennoch ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Kluft sich vergrößert. Die Kräfte, die diese Ergebnisse hervorbrachten, verstärken sich von allein.
    Wenn man die Ursachen von Ungleichheit versteht, kann man die Kosten und den Nutzen ihres Abbaus besser beurteilen. Die einfache These dieses Kapitels lautet: Obwohl der Grad an Ungleichheit maßgeblich auf Marktkräfte zurückgeht, ist es die Politik, die diese Marktkräfte gestaltet. Ein Großteil der heute bestehenden Ungleichheit ist das Ergebnis staatlicher Politik: dessen, was die Regierung tut, sowie dessen, was sie unterlässt. Die Regierung hat die Macht, Geld von
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