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Der Planet des Todes

Der Planet des Todes

Titel: Der Planet des Todes
Autoren: Stanislaw Lem
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Professor Tsu seine Ausführungen beendet hatte, ergriff der Vorsitzende, Professor Ramon y Carral, das Wort und ermahnte die Anwesenden zur Ruhe und Besonnenheit. Dann begann die Diskussion.
    Einige der Gelehrten hielten zwar die gezogenen Schlußfolgerungen für an sich richtig, vertraten aber den Standpunkt, daß die Lage durchaus nicht bedrohlich erscheine. Dieses Weltraumschiff sei nur ein erster Kundschafter gewesen, und eine Masseninvasion auf die Erde wäre sicher erst nach einer glücklichen Rückkehr von dieser Expedition in Aussicht genommen worden. Auf Grund der Katastrophe aber müßte die Gefahr, falls eine solche jemals bestanden habe, vorüber sein. Als besten Beweis dafür bezeichneten sie die Tatsache, daß seitdem beinahe hundert Jahre in vollständiger Ruhe verflossen waren. – Andere Gelehrte gaben zu bedenken, daß einige Dutzend Jahre nur für menschliche Begriffe einen verhältnismäßig langen Zeitabschnitt bedeuten. Es könne ebensogut der Fall sein, so argumentierten sie weiter, daß ein Umdrehungselement mehreren Jahrhunderten gleichkomme. Die unbekannten Wesen konnten ja sehr langlebige Geschöpfe sein. Wo war die Sicherheit, daß sie ihr Dasein nicht nach Tausenden von Jahren bemaßen?
    Der Vorsitzende bat die Mitglieder der ersten Sektion, ihre Meinung über die Natur der unbekannten Wesen zu äußern, der Wanderer aus dem Weltall, die sich plötzlich in Todfeinde der Menschheit verwandelt hatten.
    Professor Chandrasekar, von den Biologen delegiert, machte die Versammlung mit seiner Beweisführung bekannt. Daraufhin bemerkte einer der Physiker, das Problem sei möglicherweise von Anfang an unter völlig falschen Voraussetzungen in Angriff genommen worden. Vielleicht sei das Weltraumschiff nichts als ein riesiges, mechanisches Hirn gewesen, mit der Initiative und der Befähigung zu selbständigem Handeln ausgestattet. Die Schöpfer brauchten sich also keineswegs an Bord befunden zu haben. Bei einer solchen Auffassung ergaben sich alle Eigenarten des Repports als Merkmale des mechanischen Hirns, das ihn aufgezeichnet hatte, und von den unbekannten Wesen war nach wie vor so gut wie nichts bekannt. Die ganze Angelegenheit kehrte somit zu ihrem Ausgangspunkt zurück.
    Die Übersetzungskommission befand sich in einer unerhört schwierigen Lage. Wie sollte sie sich zu dem Problem einer möglichen Invasion verhalten? War die Menschheit tatsächlich in Gefahr? Es war durchaus möglich, daß die unbekannten Wesen einstmals beabsichtigt hatten, die Erde zu kolonisieren. Waren aber diese Absichten überhaupt ausführbar?
    Um ein Uhr nachts unterbrach der Vorsitzende die Diskussion. Er erklärte abschließend, daß die nächste Versammlung erst in zwei Tagen stattfinden werde, wahrscheinlich würde das Kollektiv der Astrophysiker, verstärkt durch die besten Mathematiker, dann bereits der Vollversammlung neue Tatsachen in bezug auf die Herkunft der unbekannten Wesen vorlegen können.
    Fast keiner wußte, daß die Astrophysiker schon seit Mitternacht des vorangegangenen Tages, das heißt von dem Augenblick an arbeiteten, in dem das Präsidium der Kommission von dem letzten Abschnitt des Rapports Kenntnis erlangt hatte.
    Im obersten Stockwerk des Mathematischen Institutes waren elf Gelehrte, isoliert von der Außenwelt, ununterbrochen tätig.
    Für die Zeit, in der Lao Tsu und Chandrasekar an der Vollversammlung der Übersetzungskommission teilnahmen, leitete der Astrophysiker Arsenjew die Arbeiten, die mit dem Elektronenhirn durchgeführt wurden. Er verglich die Zahlenwerte über die Flugbahn der Rakete, die vermutliche Geschwindigkeit und Antriebsenergie mit den Sternkarten des Jahres 1908. Diese außerordentlich schwierige Berechnung, die darauf beruhte, unausgesetzt einige bestimmte Größen aus vielhunderttausend möglichen auszuwählen, wurde nach 29 Stunden rastloser Arbeit gelöst. Anderthalb Tage nach jener denkwürdigen Sitzung, auf der die Mitglieder der Kommission die unheilvolle Meldung aus dem Weltall vernommen hatten, standen drei Wissenschaftler vor dem Leuchtschirm des Elektronenhirns und lasen die letzten Zeichen des Resultats ab. Schweigend blickten sie sich an. Arsenjew trat näher und spähte nochmals in die grünflimmernde Öffnung des Kathodenschirmes. Es konnte keinen Zweifel mehr geben: Die Rakete war aus unserem Sonnensystem abgeschossen worden, und zwar von einem Planeten, dessen Bahn innerhalb der Erdbahn lag. Es kamen also nur zwei in Frage, Merkur und Venus. Die
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