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Der Planet des Todes

Der Planet des Todes

Titel: Der Planet des Todes
Autoren: Stanislaw Lem
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nächsten Tag die Vollversammlung der Ubersetzungskommission darüber zu unterrichten.
    Als sie aber am nächsten Morgen im kleinen Saal des Instituts erschienen, wurden sie, wie auch die anderen Wissenschaftler, in den großen Säulensaal zu einer außerordentlichen Sitzung mit geheimer Tagesordnung gebeten. Dies erweckte allgemeine Verwunderung, da man während der bisherigen Arbeit der Kommission noch nie so strenge Maßnahmen getroffen hatte. Die Sitzung fand bei verschlossenen Türen, ohne die für gewöhnlich geladenen Gäste statt. Professor Ramon y Carral vom Instituto Nacional del Astronomia in Veracruz führte an diesem Tage bei den Beratungen den Vorsitz. Er gab bekannt, daß die dritte Sektion im Verlauf ihrer Arbeiten eine Entdeckung gemacht habe, deren sofortige Überprüfung unerhört wichtig sei, da das Schicksal der ganzen Erde von dem Ergebnis abhängen könne. Dann erteilte er Professor Tsu das Wort.
    Der chinesische Physiker sprach nicht von seinem Platz aus durch das Mikrophon, wie es sonst üblich war, sondern stieg auf das Präsidialpodium. Mit seiner nicht sehr lauten, aber überall im Saal gut vernehmbaren Stimme erklärte er, daß er durch die dritte Sektion ermächtigt worden sei, der verehrten Versammlung eine Entdeckung zu unterbreiten, deren Tragweite noch nicht abzuschätzen sei.
    Die großen Worte, mit denen Professor Ramon y Carral den Vortrag eingeleitet hatte, wunderten niemanden besonders; denn das südländische Temperament des alten mexikanischen Astronomen war bekannt. Dagegen elektrisierten bereits die ersten Sätze des Physikers alle Anwesenden. Lao Tsu war als einer der nüchternsten und kritischsten Denker der Übersetzungskommission bekannt.
    Lao Tsu berichtete, daß es der dritten Sektion gelungen sei, jene Drahtteile des Rapports, deren Magnetisierung unkenntlich geworden war, mittels Röntgenfotografie lesbar zu machen. Anschließend gab er den Wortlaut des Abschnittes bekannt, der mit Hilfe dieser neuen Methode entziffert werden konnte. Er lautete:
    „Nach dem zweiten Umdrehungselement wird die Bestrahlung des Planeten aufgenommen. Wenn die Intensität der Ionisierung auf die Hälfte gefallen ist, beginnt die ,Große Bewegung‘ … In dem dichtbesetzten Saal herrschte Totenstille. Kein Atemzug, nicht einmal das übliche Knarren der Sessel war zu hören. Einige der Wissenschaftler hatten vor Spannung die Augen geschlossen und hielten ihre Kopfhörer mit beiden Händen an die Ohren gepreßt. Andere notierten sich fieberhaft die Worte des chinesischen Physikers. Nachdem Lao Tsu den übersetzten Abschnitt zweimal wiederholt hatte, erklärte er, daß die dritte Sektion geneigt sei, den Text wie folgt zu verstehen: „Unter dem Umdrehungselement ist irgendeine Zeiteinheit von längerer Dauer anzunehmen, die man möglicherweise mit einem Erdenjahr vergleichen kann. Was bedeutet der Begriff ,Bestrahlung des Planeten‘? Selbstverständlich die Einwirkung einer Art Strahlungsenergie, die eine Ionisierung hervorruft. Um welchen Planeten handelt es sich? Das steht nicht eindeutig fest, da der Abschnitt zu den rekonstruierten gehört, zu einem Teil des Rapports, der vorher völlig unleserlich war. Bestimmte Anzeichen sprechen aber dafür, daß es sich um unseren Planeten, die Erde, handelt. Welchem Zweck könnte eine solche Bestrahlung dienen? Auch darüber läßt sich nichts Genaues sagen. Die unbekannten Wesen drücken anscheinend die Absicht aus, gewaltige Energieballungen gegen die Erde zu richten. Wenn die Einwirkung nach einer bestimmten Zeit nachläßt, soll die Große Bewegung beginnen. Sollte unter dem Begriff Bewegung eine Invasion auf unseren Planeten zu verstehen sein, so kann der vorliegende Abschnitt nur eine Bedeutung haben: Die unbekannten Wesen verfolgen das Ziel, alles irdische Leben zu vernichten, um sich selbst auf der Erde anzusiedeln.“
    Das alles klinge phantastisch und unwahrscheinlich, sagte der Physiker, auch hingen einzelne Glieder dieser Gedankenkette, aus denen sich Schlüsse über eine Invasion auf die Erde ergäben, nur lose zusammen. Gleichwohl dürfe man in dieser Situation, da es um etwas in der Geschichte bisher völlig Unbekanntes, nämlich um die Bedrohung der gesamten Menschheit gehe, nicht übermäßig kritisch sein und nicht schärfste wissenschaftliche Strenge bei der Beurteilung anwenden. Es handle sich um eine so ungeheure Gefahr, daß ihre Möglichkeit auch dann untersucht werden müsse, wenn sie sehr unwahrscheinlich anmute.
    Nachdem
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