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Der Palast

Der Palast

Titel: Der Palast
Autoren: Rowland
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Entführers gerettet und wohlbehalten nach Hause gebracht«, riefen sie.
    Als die Neuigkeit sich in der Stadt verbreitete, erklangen Gongs und Glocken in sämtlichen Tempeln und an den heiligen Stätten, wo die Bürger Dankgebete sprachen, dass das Schicksal Fürstin Keisho-in verschont hatte. Priester in safrangelben Gewändern wanderten in Prozessionen durch die Stadt, schlugen Trommeln und feierten die Befreiung der Mutter ihres Herrschers. Im Verwaltungsbezirk Hibiya zerrten Wachen vierzehn Gefangene – die gefesselten Handlanger des Drachenkönigs – aus dem Haus des Magistraten Ueda und führten sie zum Richtplatz. Die am Prozess beteiligten Beamten verließen das Gerichtsgebäude. Magistrat Ueda trat vom Podium hinunter zu Sano, der bei dem Prozess als Zeuge ausgesagt hatte.
    »Ich danke dir von Herzen, dass du meine Tochter gerettet hast«, sagte Magistrat Ueda. »Ich habe gehört, dass Kammerherr Yanagisawa das Verdienst für die Rettung der Geiseln für sich beansprucht, aber meine Quellen widersprechen dieser Behauptung. Ich weiß, welche Rolle du und viele andere bei dem Einsatz gespielt haben.«
    »Der ehrenwerte Kammerherr darf das Verdienst ruhig für sich beanspruchen«, sagte Sano gelassen.
    »Ich habe überdies gehört, dass du die Gunst des Shōgun wiedererlangt hast«, fuhr Magistrat Ueda fort.
    »Warten wir ab, wie lange es diesmal vorhält«, sagte Sano mit leisem Spott.
    »Und Hoshina wurde aus der Haft entlassen?«
    »Der Shōgun hat den Befehl vor zwei Tagen erlassen – unmittelbar nachdem wir nach Edo zurückgekehrt waren und ihm Fürstin Keisho-in übergeben hatten. Wir haben dem Shōgun den Kopf des Drachenkönigs als Beweis gebracht, dass der Entführer seiner Mutter seine gerechte Strafe erhalten hat.«
    »Mich würde interessieren, was aus der Beziehung zwischen Hoshina und dem Kammerherrn wird«, sagte Magistrat Ueda. »Aber sie sollten dankbar sein, dass die Krise vorüber ist. Und wir können froh sein, dass die kleine Tochter von Midori und Hirata überlebt hat. Das Fest der Namensgebung wird heute Nachmittag gefeiert, nicht wahr?«
    »Ja«, erwiderte Sano. »Nehmt Ihr an der Feier teil?«
    Der Magistrat nickte und fügte nach einem kurzen Zögern hinzu: »Als ich meine Tochter gestern besuchte, wirkte sie sehr nachdenklich und bedrückt. Wie ging es ihr heute Morgen?«
    »Unverändert.« Die Ungewissheit über Reikos Schicksal quälte Sano. »Sie hat mir zwar erzählt, was die Frauen in der Gefangenschaft gemeinsam erleiden mussten, aber nicht, was sie allein erlebt hat. Ich weiß noch nicht einmal, wie es Reiko gelungen ist, ihre Freundinnen aus dem Palast zu befreien. Ihr Körper ist mit Schrammen und blauen Flecken übersät. Hat sie Euch etwas gesagt?«
    Magistrat Ueda schüttelte den Kopf.
    »Nun, ich habe da einen Verdacht …«, gestand Sano.
    Er stellte sich die Szene im Schlafgemach des Drachenkönigs vor – mit dem zerwühlten Bett und dem weißen Unterkimono einer Frau auf dem Boden. Immer wieder stellte Sano sich die Frage, woher Reiko gewusst hatte, wo sie den Drachenkönig finden würde. Er fragte sich, zu welchen Handlungen ihre Notlage und die Verzweiflung sie getrieben haben mochten. Und er verdrängte den Gedanken daran, was sich zwischen einem Mann und einer hübschen Frau, die dieser Mann entführt hatte, abgespielt haben könnte. Dennoch vermischten sich Eifersucht und Hilflosigkeit wie geschmolzenes Metall in Sanos Innerm.
    Magistrat Uedas besorgte Miene verriet, dass er ahnte, welche Richtung Sanos Gedanken nahmen. »Soll ich dir einen Rat geben?«
    Sano atmete tief aus und sagte: »Ja, ich bitte darum.«
    »Lass Reiko Zeit, dir ihr Herz zu öffnen. Aber bedenke, dass manche Geheimnisse besser ungesagt bleiben«, riet ihm Magistrat Ueda. »Denk daran, dass Reiko dir immer treu ergeben sein wird. Beurteile sie nicht nach dem, was ein Verrückter ihr angetan hat. Lass nicht zu, dass er euch auseinander bringt, wo ihr euch am meisten braucht.«
    Sano schätzte den klugen Rat, der sein Verlangen bezähmte, Reiko zu einer Erklärung zu zwingen. »Danke, ehrenwerter Schwiegervater.«
    Der sōsakan-sama verabschiedete sich. Er war froh, dass er Reiko nicht zur Rede stellen musste, denn es wartete noch eine andere Konfrontation auf ihn, die eine Beziehung bedrohte, die ihm fast ebenso wichtig war wie seine Ehe.
     
    Auf dem Anwesen von Kammerherrn Yanagisawa schien die Sonne auf den Garten, der im üppigen Grün des Hochsommers erstrahlte. Doch der Rauch der
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