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Der Palast

Der Palast

Titel: Der Palast
Autoren: Rowland
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Scheiterhaufen trübte die Luft. Das Laub auf den Wegen und die verwelkten Blüten der Lilien waren erste Vorboten des Herbstes. Die Zikaden zirpten unaufhörlich ihren Mahngesang.
    Fürstin Yanagisawa und ihre Tochter Kikuko standen Hand in Hand vor den Privatgemächern. Sie spähten durch die belaubten Zweige eines Pflaumenbaumes auf den Kammerherrn, der auf der Veranda stand und in die Ferne starrte. Es war das erste Mal, dass Fürstin Yanagisawa ihren Gemahl sah, seitdem sie nach Hause zurückgekehrt war. Während der Erstürmung der Insel und auf der Rückreise nach Edo hatte der Kammerherr kein Wort mit seiner Frau gewechselt. Seine Gleichgültigkeit bereitete ihr unvorstellbaren Schmerz. Reiko hatte gesagt, durch die Entführung würde ihr Gemahl erkennen, dass er sie liebte, doch sie hatte Unrecht gehabt.
    Wie sehr sie Reiko hasste, weil sie falsche Hoffnungen in ihr erweckt hatte! Zwar war die Fürstin froh, dass Reiko nicht ertrunken war – und wünschte doch, es wäre geschehen.
    Polizeikommandeur Hoshina bog um die Ecke der Veranda und ging auf den Kammerherrn zu. Beim Anblick des Mannes, der die Liebe ihres Gemahls an sich gerissen hatte, bebte Fürstin Yanagisawa vor Zorn. Der Kammerherr erstarrte, als er sich zu Hoshina umdrehte. Die beiden Männer verneigten sich voreinander.
    »Willkommen zu Hause«, sagte Yanagisawa mit ernster Stimme.
    Hoshinas Züge waren zu einer freudlosen Maske erstarrt. »Ich bin gekommen, um meine Habseligkeiten zu holen«, sagte er.
    Der Kammerherr runzelte die Stirn. »Du ziehst aus?«
    »Ja«, antwortete Hoshina.
    Fürstin Yanagisawa konnte kaum glauben, dass jemand, der den Vorzug genoss, die Gesellschaft ihres mächtigen Gemahls genießen zu dürfen, freiwillig darauf verzichtete. Unbändige Freude überkam die Fürstin. So hatte die Entführung doch ein Gutes!
    »Aber warum willst du fort?«, fragte der sichtlich bestürzte Kammerherr seinen Geliebten. »Was geschehen ist, sollte dich nicht aus deinem Heim vertreiben. Du musst wissen, dass ich dich nicht aufgeben wollte. Ich habe alles getan, um dich zu retten.«
    Hoshina verschränkte die Arme. »Ihr habt mich die schlimmsten Demütigungen meines Lebens erleiden lassen. Ihr hättet mich sterben lassen!«
    »Du wirst gewiss verstehen, dass ich nur getan habe, was ich tun musste«, verteidigte der Kammerherr sich.
    »Nein, das verstehe ich nicht. Aber ich weiß, dass politische Vorteile Euch getrieben haben«, sagte Hoshina, dessen Stimme ein wenig versöhnlicher wurde.
    »Dann bleib in meinem Haus wohnen«, sagte der Kammerherr.
    Er legte alle Überzeugungskraft, zu der er fähig war, in seine Stimme, doch Hoshina wich vor seiner ausgestreckten Hand zurück. »Ich bin nicht närrisch! Ihr würdet mich wieder fallen lassen, wenn die Notwendigkeit es gebietet«, sagte der Polizeikommandeur. »Ich möchte unsere Beziehung lieber beenden, als stets in der Angst zu leben, dass es wieder geschieht.«
    Der Kammerherr starrte den Polizeikommandeur schockiert an. »Du willst mich tatsächlich verlassen?«
    Trauriges Schweigen war Hoshinas Antwort. Fürstin Yanagisawa spürte den Druck von Kikukos Hand. Sie bedeutete ihrer Tochter zu schweigen, damit sie ihren Gemahl weiter belauschen konnte.
    »Ich werde alles wieder gutmachen, was du erleiden musstest«, versprach der Kammerherr und bemühte sich beinahe verzweifelt, Hoshina zu beschwichtigen. »Möchtest du einen höheren Rang? Ein höheres Gehalt?« Er drehte seine Handfläche in einer großmütigen Geste nach oben. »Ich gebe dir alles, was du verlangst.«
    Fürstin Yanagisawa sah, dass Hoshina nachdenklich wurde und ins Schwanken geriet. Sie spürte die Flammen der Leidenschaft, die noch immer zwischen den beiden Liebenden brannte. Während ihre Lippen ein stummes Gebet sprachen, umklammerte sie fest Kikukos Hand.
    Schließlich sagte Hoshina traurig: »Nichts, was Ihr mir geben könntet, würde mich vergessen lassen, dass Ihr mein Leben für Eure selbstsüchtigen Interessen geopfert hättet.«
    Der Kammerherr ließ die Hände sinken und drehte sich um. Fürstin Yanagisawa erkannte die Verzweiflung in seinen Augen. Er ging ein paar Schritte ziellos über die Veranda, kehrte dann um und blieb vor Hoshina stehen.
    »Es stimmt, ich hätte dich verteidigen müssen, anstatt dich im Stich zu lassen«, gab er zu. »Ich habe einen Fehler gemacht. Das war dumm und eigensüchtig von mir.« Fürstin Yanagisawa wunderte sich maßlos über diese Worte. Es war das erste Mal, dass ihr
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