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Der Pakt der Liebenden

Der Pakt der Liebenden

Titel: Der Pakt der Liebenden
Autoren: John Connolly
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war er sich nicht sicher, warum; entweder das oder er konnte nicht damit leben, dass er ihr mög­licherweise die Wahrheit gesagt hatte. Er war müde, erschöpfter als jemals zuvor. Er wollte schlafen. Er wollte schlafen und nie wieder aufwachen.
    Nun bemerkten sie mich, und mein Vater nahm seinen rechten Arm von meiner Mutter und zog mich in ihre Runde. So blieben wir eine Minute, bis uns mein Vater den Rücken tätschelte. »Kommt«, sagte er. »Wir können nicht den ganzen Tag so stehenbleiben.«
    »Hast du Hunger?«, fragte meine Mutter und wischte sich mit ihrer Schürze über die Augen. Ihre Stimme klang jetzt völlig ausdruckslos, so als hätte sie keinerlei Gefühle mehr, nachdem sie ihrem Schmerz freien Lauf gelassen hatte.
    »Klar. Eier wären gut. Eier mit Speck. Möchtest du auch Eier mit Speck, Charlie?«
    Ich nickte, obwohl ich keinen Hunger hatte. Ich wollte bei meinem Vater sein.
    »Du solltest dich duschen und umziehen«, sagte meine Mutter.
    »Das mach ich auch. Ich muss bloß vorher noch was erledigen. Kümmere du dich um die Eier.«
    »Toast?«
    »Toast wäre prima. Weizentoast, wenn du welchen hast.«
    Meine Mutter fing an, in der Küche herumzuwuseln. Als sie uns den Rücken zukehrte, drückte mich mein Vater an sich und sagte: »Alles wird gut, verstehst du? Hilf jetzt deiner Mutter, sorge dafür, dass es ihr gut geht.«
    Er verließ uns. Die Hintertür wurde geöffnet, dann wieder geschlossen. Meine Mutter hielt inne und lauschte, wie ein Hund, der etwas Ungewöhnliches spürt, dann widmete sie sich wieder der Pfanne, in der sie das Öl erhitzte.
    Sie hatte gerade das erste Ei aufgeschlagen, als wir den Schuss hörten.

3
    Durch die Wolken, die vor der Sonne vorbeizogen, änderten sich die Lichtverhältnisse verstörend schnell, so dass die Helligkeit binnen eines Wimpernschlages in winterliche Dämmerung überging, ein Vorgeschmack auf die tiefere Dunkelheit, die bald anbrechen würde. Die Haustür wurde geöffnet, und der alte Mann tauchte auf der Treppe auf. Er trug eine Jacke mit Kapuze, hatte aber noch seine Hausschuhe an. Er lief bis zum Ende des Fußwegs und blieb am Rande seines Grundstücks stehen, so dass sich die Zehen auf Höhe des Rasens befanden, als wäre der Gehsteig ein Gewässer und er hätte Angst, vom Ufer zu fallen.
    »Kann ich Ihnen mit irgendwas behilflich sein, mein Sohn?«, rief er.
    Mein Sohn.
    Ich überquerte die Straße. Er straffte sich leicht, fragte sich jetzt wahrscheinlich, ob es eine gute Idee gewesen war, einem Fremden entgegenzutreten. Er warf einen Blick auf seine Hausschuhe und dachte vermutlich, dass er sich die Zeit hätte nehmen und seine Stiefel anziehen sollen. Mit Stiefeln hätte er sich etwas weniger verletzlich gefühlt.
    Von nahem sah ich, dass er mindestens siebzig war, wenn nicht älter, ein kleiner, zerbrechlich wirkender Mann, doch mit genug innerer Kraft und Selbstvertrauen, um einem Fremden gegenüberzutreten, der sein Haus beobachtete. Es gab jüngere Männer als ihn, die einfach die Polizei gerufen hätten. Seine Augen waren braun und wässerig, aber für jemanden in seinem Alter war sein Gesicht relativ faltenlos. Um die Augenhöhlen und die Wangenknochen war es besonders straff, so dass man den Eindruck hatte, die Haut um seinen Schädel wäre geschrumpft, statt schlaff zu werden.
    »Ich habe mal hier gewohnt, in diesem Haus«, sagte ich.
    Seine Wachsamkeit ließ etwas nach.
    »Sind Sie einer der Jungs von den Harringtons?«, fragte er und schaute mich blinzelnd an.
    »Nein, das nicht.«
    Ich wusste nicht einmal, wer die Harringtons waren. Die Leute, die das Haus kauften, nachdem wir ausgezogen waren, hießen Bildner. Ein junges Paar mit einem Baby, einer Tochter. Aber andererseits war über ein Vierteljahrhundert vergangen, seit ich das Haus zum letzten Mal gesehen hatte. Ich hatte keine Ahnung, wie oft es in diesen Jahren den Besitzer gewechselt hatte.
    »Hm. Wie heißen Sie, mein Sohn?«
    Und jedes Mal, wenn er dieses Wort aussprach, hörte ich die Stimme meines Vaters widerhallen.
    »Parker. Charlie Parker.«
    »Parker«, wiederholte er und kaute auf dem Wort herum, als wäre es ein Stück Fleisch. Er zwinkerte dreimal, zuckte zusammen und bekam einen verkniffenen Mund. »Ja, jetzt weiß ich, wer Sie sind. Mein Name ist Asa, Asa Durand.«
    Er streckte die Hand aus, und ich schlug ein.
    »Wie lange wohnen Sie schon hier?«
    »Zwölf Jahre ungefähr. Die Harringtons waren vor uns hier, aber sie haben das Haus verkauft und sind nach
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