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Der Orden

Der Orden

Titel: Der Orden
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ihr.
    Wie es sich ergab, erfuhr ich jedoch etwas über Giuliano Andreoli, nachdem ich seinen Namen im Internet gesucht hatte. Lucias erster Liebhaber war wegen versuchter Vergewaltigung festgenommen worden, hatte jedoch in seiner Zelle Selbstmord begangen, bevor sein Fall vor Gericht kam. Ich konnte mir vorstellen, was Peter daraus gemacht hätte: Für den Orden war Giuliano nur eine Spermamaschine gewesen, die einmal benutzt und dann weggeworfen, ins grelle Licht der Außenwelt und eine leere Zukunft hinausgestoßen worden war. Was er im Schwarm erlebt hatte, dieser kurze Moment von Liebe und Lust, musste ihm bald wie ein Traum vorgekommen sein.
    Lucia selbst lebt nun bei Daniel und seinen Eltern, in deren hellem, luftigem Heim in den Hügeln außerhalb Roms. Daniels Eltern haben sich als anständige, humane Leute erwiesen. Und zum Glück vertrauen sie wie viele Ausländer nicht hundertprozentig auf die Kompetenz der italienischen Behörden und haben Lucia bereitwillig eine private, diskrete medizinische Behandlung zuteil werden lassen.
    Lucia hat ihr drittes Baby bekommen – einen gesunden und munteren Jungen. Es erwies sich als einfache Prozedur, ihre Spermatheca herauszuschneiden, wie Peter sie genannt hatte, jenen kleinen Beutel in ihrer Gebärmutter, aus dem Giulianos Samen immer wieder in sie hineingesickert wäre, für den Rest ihres Lebens. Daniels Eltern sprechen jetzt davon, sie in die Schule zu schicken.
    Ich weiß nicht, ob Daniel und Lucia sich jemals lieben werden. Selbst jetzt, wo der Druck des unablässigen Gebärens von ihr genommen ist, scheint niemand zu wissen, wie ihr Körper sich künftig auf die veränderten Bedingungen einstellen wird. Und sie ist nicht ohne Blessuren davongekommen. Sie hat nie erfahren, was aus ihrem ersten Kind geworden ist, das an jenem schicksalhaften Tag in einer der riesigen Krippen gewesen sein muss. Ich glaube, das ist eine Wunde, die nie verheilen wird. Aber in Daniel und seiner Familie hat sie zumindest gute Freunde gefunden.
    Manchmal frage ich mich jedoch, was wohl Lucias wahre Bestimmung ist.
    In allen Berichten über die Krypta fiel mir am meisten das auf, was fehlte. Die kleinen, aus Stein gemeißelten matres zum Beispiel, die Regina aus dem römischen Britannien mitgebracht hatte – der symbolische Kern ihrer Familie und später des Ordens. Sie wurden nie erwähnt und niemals gefunden.
    Peter hatte mir erzählt, dass sich die Kolonien mancher sozialer Insektenarten fortpflanzen, indem sie eine Königin und ein paar Arbeiterinnen aussenden, um eine neue Kolonie zu gründen. Ich glaube, ich werde Lucia und ihre junge Familie im Auge zu behalten versuchen.
    Meine Schwester habe ich nicht mehr wiedergesehen, seit ich sie im Gedränge tief unten in der Krypta aus den Augen verloren habe. Ich glaube allerdings nicht, dass es ihr möglich gewesen wäre, zum Orden zurückzukehren. Am Ende wusste sie zu viel – mehr, als sie wissen sollte –, und dennoch wollte sie es erfahren. Offenbar muss der Orden von Zeit zu Zeit jemanden wie Rosa hervorbringen, der einen größeren Überblick hat, jemanden, der imstande ist, größere Dimensionen, komplexere Bedrohungen wahrzunehmen. Peters Gedankengänge waren schon an sich eine Bedrohung für den Orden – und sie musste ähnliche Gedankengänge entwickeln, um ihn zu besiegen. Aber eine Drohne soll nicht wissen, dass sie Teil eines Schwarms ist. Unwissenheit ist Stärke. Am Ende hat sie den Orden gerettet, indem sie sich geopfert hat, wie es sich für eine brave Drohne gehört, und sie wusste bei jedem Schritt, was sie tat.
    So habe ich meine Schwester gefunden und wieder verloren.
     
    Es gibt noch andere lose Enden, und ich muss einfach daran ziehen.
    Ich habe über eusoziale Organismen gelesen. Dabei habe ich gelernt, dass ein Merkmal von Schwärmen, ebenso wie die Sterilität der Arbeiterinnen und all das andere, Selbstmord ist – die Bereitschaft einer Drohne, sich zum Wohl des größeren Ganzen – das heißt, für die langfristigen Interessen ihres genetischen Erbes – zu opfern. Man sieht es, wenn ein Termitenhügel aufgebrochen wird oder wenn ein Raubtier in eine Mullenkolonie einzudringen versucht. Die Biologen betrachten das als Beweis dafür, dass der Schlüsselorganismus die Gemeinschaft insgesamt ist, der Schwarm, nicht das Individuum, denn das Individuum handelt vollkommen selbstlos. Auf den Orden traf das jedenfalls zu. Als die Krypta angegriffen wurde – etwa während der Plünderung Roms –, gaben
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