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Der Olivenhain

Der Olivenhain

Titel: Der Olivenhain
Autoren: Courtney Miller Santo
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Callie damit umgehen können?«, fragte er. »Wenn die Jungs es wissen, muss sie es auch wissen. Ich mache mir Sorgen, dass sie nicht stark genug ist, um damit zu leben, um es zu verstehen. Aber vielleicht lernt sie ja in dieser Flugschule, stärker zu werden.«
    Elizabeth lächelte. Sie hatte ganz vergessen, wie sehr Frank seine Tochter behütet hatte, bevor Callie von zu Hause ausgezogen war. Wie er nicht erkannt hatte, dass es sein Einfluss, seine Erziehung gewesen waren, die seiner Tochter die notwendigen Flügel verliehen hatten, Kidron zu verlassen. Hätte Callie nicht in dieser Absturzmaschine gesessen, Elizabeth hätte allen schon vor Jahren von ihren Vätern erzählt. Frank selbst hätte es ihnen gesagt und ihnen erklärt, warum sie so gehandelt hatten.
    »Es ist warm hier draußen«, sagte Frank.
    Elizabeth war so in ihre Gedanken um Callie und die Jungs vertieft, dass sie gar nicht reagierte, als Frank sich bückte, seine Hosenbeine hochkrempelte und seine Schuhe von sich schleuderte – seine Hausschuhe. Wie hatte sie nur übersehen können, welche Schuhe er trug, als sie das Seniorenheim verließen? Er watete ins Wasser.
    »Nicht«, sagte Elizabeth und wollte ihn festhalten, doch er stapfte weiter. Er drehte sich gerade zu ihr um und machte eine abwinkende Handbewegung, als ein vorbeischwimmender abgebrochener Ast ihn in der Kniekehle traf und einknicken ließ. Er fiel rückwärts ins Wasser und tauchte unter. Als er wieder auftauchte, sah Elizabeth, wie sich seine Kehle zuschnürte, weil er zu viel Wasser geschluckt hatte.
    »Frank!«, rief sie.
    Er versuchte, Halt unter den Füßen zu finden. Der Fluss, der einen so friedlichen Eindruck machte, hatte eine starke Strömung, und während Frank hilflos mit den Armen fuchtelte, wurde er von der Strömung erfasst und hatte Mühe, sich über Wasser zu halten.
    Hinter sich hörte sie Guy schreien. »Gehen Sie ihm hinterher. Gehen Sie ihm hinterher! Großer Gott, Sie müssen ihn festhalten!«
    »Steh auf!«, rief sie ihrem Mann zu. Sie lief ein Stück den Weg entlang und sah, wie er strauchelte und verzweifelt versuchte, Halt auf dem Grund des Flusses zu finden. Nicht weit von ihm ragte ein Baum aus dem Wasser, der sonst den Frisbee-Spielern Schatten spendete. »Halt dich an dem Baum fest!«
    Elizabeth war keine gute Schwimmerin. Unschlüssig blieb sie stehen und sah sich nach etwas um, das sie Frank reichen könnte. Sie hörte ihn ihren Namen rufen, und als sie aufblickte, sah sie, dass es ihm gelungen war, sich an dem Baum festzuhalten. Halb sitzend, halb stehend, umklammerte er den Stamm im Wasser. Es war zu tief, um sich ganz hinzusetzen, aber flach genug, dass er seinen Oberkörper über Wasser halten konnte.
    Sie hörte Guy abermals rufen. Er klang näher, und als sie sich zum Auto umdrehte, sah sie, dass er die Tür geöffnet hatte und auf den Asphalt gekrabbelt war. Eine Frau, die in einem blauen Sedan gesessen hatte, kam mit einem Telefon in der Hand auf sie zugelaufen.
    »Mum. Bitte. Mum!«, schrie Frank. Er war ins Kindesalter zurückgefallen, und Elizabeth konnte nur erahnen, was in ihm vorging, während er sich hilflos umblickte. Sie sah tatsächlich aus wie seine Mutter – das war einer der Gründe, weshalb er sie geheiratet hatte –, und nun, da sie alt und runzlig war, sah sie aus wie jedermanns Mutter oder Großmutter.
    Sie watete ins Wasser und spürte es um ihre Knöchel und in ihren Turnschuhen. Sie fühlte sich sicherer in Schuhen, glaubte, dass es damit auf dem durchweichten Gras weniger glitschig wäre. Frank war gar nicht weit vom Weg entfernt, aber sie konnte sehen, dass er vollkommen entkräftet war.
    Er hatte seinen Hut verloren, und sie sah die Altersflecken auf seinem Scheitel sowie die gezackte Narbe, die er hatte, seit sein Bruder ihn als Kind beim Ballspielen mit einem Stock geschlagen hatte. Die Narbe verlief vom linken Ohr den Hals hinunter und erinnerte an gesprungenes Glas.
    »Hilfe!«, schrie er wieder.
    Elizabeth war nur noch eine Armlänge von ihm entfernt. Das Wasser reichte ihr inzwischen bis zum Oberschenkel. Sie spürte, wie die Strömung an ihrer Hose zerrte, und bei jedem Schritt spritzte ihr Wasser ins Gesicht. »Du musst aufstehen, Frank«, sagte sie zu ihm.
    Er griff nach ihrer Schulter und zog so fest daran, dass sie gegen den Baum stolperte und fast das Gleichgewicht verlor.
    Hier, um den Baum herum, floss das Wasser viel schneller und zog an ihr. Frank fiel nach hinten und tauchte erneut unter. Sie beugte
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