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Der Oligarch

Der Oligarch

Titel: Der Oligarch
Autoren: Daniel Silva
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Sonnenblumenfelder. Die Villa selbst stand am Ende einer langen mit Kies bestreuten Auffahrt, die von turmhohen Schirmpinien gesäumt wurde. Im 11. Jahrhundert war sie ein Kloster gewesen. Aus dieser Zeit waren noch eine kleine Kapelle und die Überreste des Ofens zu bestaunen, in dem die Mönche ihr täglich Brot gebacken hatten. Am Fuß des Hauses befanden sich ein großer Swimmingpool und ein terrassenförmig angelegter Park, in dem Rosmarin und Lavendel an Stützmauern aus etruskischem Stein wuchsen. Und überall gab es Hunde: ein Quartett aus Jagdhunden, das über die Koppeln streifte und dort Füchsen und Hasen zusetzte, und zwei neurotische Terrier, die die Umgebung der Stallungen mit dem Eifer heiliger Krieger bewachten.
    Für den Gutsbetrieb, der dem Conte Gasparri, einem ältlichen italienischen Adligen, gehörte, waren vier Mitarbeiter zuständig: die junge Haushälterin Margherita, die hervorragende Köchin Anna, die zierliche Halbschwedin Isabella, die sich um die Pferde kümmerte, und der argentinische Cowboy Carlos, der für das Vieh, die Felder und den kleinen Weinberg zuständig war. Zwischen dem Restaurator und dem Personal herrschte eine Art kalter Friede. Den Angestellten war mitgeteilt worden, er heiße Alessio Vianelli und habe als Sohn eines italienischen Diplomaten lange Jahre im Ausland gelebt. Aber der Restaurator hieß nicht Alessio Vianelli; er war auch kein Diplomatensohn, nicht mal Italiener. Sein wahrer Name war Gabriel Allon, und er stammte aus dem Jezreel-Tal in Israel.
    Er war etwas unterdurchschnittlich groß, kaum über einen Meter siebzig, und hatte die drahtige Figur eines Radrennfahrers. In seinem Gesicht mit der hohen Stirn und dem schmalen Kinn saß eine lange knochige Nase, die wie aus Holz geschnitzt aussah. Seine Augen waren auf beinah unheimliche Weise smaragdgrün; sein kurz geschnittenes schwarzes Haar war an den Schläfen grau meliert. Da er Beidhänder war, konnte er mit beiden Händen gleich gut malen. Im Augenblick benutzte er gerade die Linke. Ein Blick auf seine Armbanduhr zeigte ihm, dass es fast Mitternacht war. Er überlegte, ob er weiterarbeiten sollte. Noch eine Stunde, schätzte er, dann wäre der Hintergrund fertig. Vielleicht sollte er ihn lieber gleich fertigstellen. Der Direktor der Vatikanischen Museen legte großen Wert darauf, den Reni in der Heiligen Woche, wenn Pilger und Touristen Rom stürmten, wieder ausstellen zu können. Gabriel hatte zugesagt, sein Äußerstes zu tun, um diesen Termin einzuhalten, aber nichts fest versprochen. Er war ein Perfektionist, der jeden Auftrag als Gelegenheit betrachtete, seinen Ruf zu festigen. Gabriel, der für seinen leichten Pinselstrich bekannt war, war der Auffassung, dass ein Restaurator geistergleich vorüberzuziehen, zu kommen und zu gehen habe, ohne eine Spur zu hinterlassen – außer einem Gemälde, das wieder in seinem ursprünglichen Glanz erstrahlt, nachdem die über Jahrhunderte hinweg erlittenen Beschädigungen repariert sind.
    Sein Atelier befand sich in einem Raum, der eigentlich der Salon der Villa war. Da alle Möbel fortgeschafft waren, enthielt er nur Gabriels Malbedarf, zwei starke Halogenlampen und eine kleine Stereoanlage. Aus ihren Lautsprechern drang La Bohème, allerdings nicht viel lauter als ein Flüstern. Er war ein Mann mit vielen Feinden, die er sich im Gegensatz zu Guido Reni nicht bloß einbildete. Deshalb hörte er Musik nur leise – und deshalb trug er stets eine geladene Beretta, eine 9-mm-Pistole, bei sich. Ihr Griff wies einige Farbflecken auf: einen Tupfer Tizian, einen Klecks Bellini, zwei Tropfen Rafael und Veronese.
    Trotz der späten Stunde arbeitete er energisch und konzentriert und schaffte es, seine Arbeit zu beenden, als die letzten Klänge der Oper verhallten. Er reinigte seine Pinsel und die Palette, dann dimmte er die Helligkeit der Lampen. Im Halbdunkel wirkte der Hintergrund fast schwarz, und die vier Gestalten schienen sanft zu leuchten. Vor dem Gemälde stehend, eine Hand am Kinn, den Kopf leicht zur Seite geneigt, plante er die nächste Sitzung. Morgen früh würde er mit dem obersten Schergen anfangen, einem Kerl mit roter Mütze, der in der einen Hand einen geschmiedeten Nagel und in der anderen einen Schlegel hielt. Gabriel empfand eine Art grimmiger Verwandtschaft mit dem Henkersknecht. In einem anderen Leben, durch andere Namen getarnt, hatte er für seine Gebieter in Tel Aviv ähnliche Dienste verrichtet.
    Er schaltete die Lampen aus und stieg die
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