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Der Oligarch

Der Oligarch

Titel: Der Oligarch
Autoren: Daniel Silva
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Grigorijs Verschwinden benachrichtigt, aber aus nie ganz geklärten Gründen warteten die britischen Geheimdienste noch vier lange Tage, bevor sie endlich die Israelis benachrichtigten. Für Schamron, der im israelischen Unabhängigkeitskrieg mitgekämpft hatte und die Briten noch immer hasste, kam diese Verzögerung nicht überraschend. Binnen Minuten telefonierte er mit Uzi Navot, um ihm seinen Marschbefehl zu erteilen. Navot gehorchte widerstrebend. Darauf verstand er sich hervorragend.

3 U MBRIEN , I TALIEN
    Guido Reni war ein sonderbarer Mann, selbst für einen Künstler.
    Er neigte zu Angstzuständen, litt wegen seiner unterdrückten Homosexualität unter Schuldgefühlen und war sich seiner Begabung so unsicher, dass er nur im Schutz einer Spanischen Wand malte. Obwohl er die Jungfrau Maria ungewöhnlich intensiv verehrte, hasste er Frauen im Allgemeinen so sehr, dass sie nicht einmal seine Wäsche anfassen durften. Er bildete sich ein, Hexen stellten ihm nach. Und allein der bloße Klang einer Obszönität ließ ihn heftig erröten.
    Hätte Reni auf seinen Vater gehört, wäre er Harfenist geworden. Stattdessen trat er als Neunjähriger in die Werkstatt des flämischen Meisters Denys Calvaert ein, um Kunstmaler zu werden. Nach Abschluss seiner Lehre verließ er 1601 sein Elternhaus in Bologna und reiste nach Rom, wo er bald vom Neffen des Papsts einen Auftrag für ein Altarbild erhielt: Die Kreuzigung Petri für die Kirche San Paolo alle Tre Fontane. Auf Wunsch seines einflussreichen Gönners griff Reni das Motiv eines Werks auf, das in der Kirche Santa Maria del Popolo hing. Sein Schöpfer, ein unter dem Namen Caravaggio bekannter sprunghafter, streitsüchtiger Maler, fand Renis Plagiat keineswegs schmeichelhaft und schwor ihn umzubringen, wenn so etwas noch einmal passiere.
    Bevor der Restaurator mit der Arbeit an Renis Altarbild begann, war er in Rom gewesen, um sich den Caravaggio nochmals anzusehen. Reni hatte offensichtliche Anleihen bei seinem Konkurrenten gemacht – am auffälligsten war die Hell-Dunkel-Malerei, die seinen Gestalten Leben einhauchte und durch die sie sich dramatisch vom Hintergrund abhoben –, aber es gab auch viele Unterschiede zwischen den beiden Gemälden. Wo Caravaggio das auf dem Kopf stehende Kreuz schräg angeordnet hatte, stellte Reni es senkrecht und in der Bildmitte dar. Wo Caravaggio das schmerzverzerrte Gesicht Petri gezeigt hatte, verdeckte Reni es geschickt. Was den Restaurator vor allem beeindruckte, war Renis Darstellung der Hände des Apostels. Auf Caravaggios Altarbild waren sie schon ans Kreuz genagelt. Auf Renis Bild dagegen waren die Hände noch frei, und die Rechte war in die Höhe gestreckt. Griff Petrus nach dem Nagel, der durch seine Füße geschlagen werden sollte? Oder flehte er Gott an, ihn vor einem so schrecklichen Tod zu bewahren?
    Der Restaurator arbeitete seit über einem Monat an diesem Gemälde. Nachdem er den vergilbten Firnis abgenommen hatte, war er jetzt mit dem abschließenden, wichtigsten Teil der Restaurierung beschäftigt: der Retusche von Bildteilen, die im Lauf der Zeit oder durch mechanische Beanspruchungen gelitten hatten. In den vier Jahrhunderten, seit Reni dieses Altarbild gemalt hatte, war es erheblich beansprucht worden – tatsächlich hatten die nach der Reinigung gemachten Fotos bei den Besitzern des Gemäldes eine Phase der Niedergeschlagenheit mit Hysterie und Selbstvorwürfen ausgelöst. Unter normalen Umständen hätte der Restaurator ihnen vielleicht den Schock über den wahren Zustand des Gemäldes erspart, aber dies waren keine normalen Umstände. Der Reni befand sich inzwischen im Besitz des Vatikans. Weil der Restaurator als einer der Weltbesten seines Fachs galt – und weil er ein Freund des Papsts und seines einflussreichen Privatsekretärs war –, durfte er freiberuflich für den Heiligen Stuhl arbeiten und sich seine Aufträge selbst aussuchen. Er brauchte nicht einmal in dem hochmodernen Konservierungslabor des Vatikans zu arbeiten, sondern konnte seine Restaurierungen auf einem abgelegenen Landsitz im Süden Umbriens durchführen.
    Das Gut »Villa dei Fiori« lag siebzig Kilometer nördlich von Rom auf einem Plateau zwischen den Flüssen Nera und Tiber. Dort gab es eine große Rinderzucht und ein Reitzentrum, aus dem einige der besten Springpferde Italiens hervorgegangen waren. Außerdem gab es Schweine, die niemand aß, Ziegen, die nur wegen ihres Unterhaltungswerts gehalten wurden, und im Sommer riesige
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