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Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Titel: Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert
Autoren: Sobo
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fragte ich mich. Und was haben wir geschafft? Die Welt gerettet?
    Ich hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war und wie lange ich mich schon in der Obhut des Weltretters befand. Offenbar spielt die Zeit in der Zukunft eine andere Rolle als in der Gegenwart. Auch unter Wasser sah es ganz anders aus, als ich es gewohnt war. Keine Haie, keine Wale, keine Tintenfische, keine Seesterne, keine Algen, keine Meerpfauen, keine Leuchtquallen, keine Korallenriffe. Dafür Leere, Öde, Nichts. Aus diesem Nichts heraus drangen wellenförmige Worte, die sich zu einer Frage formierten.
    »Was war die ursache für den Zusammenstoß und den Untergang der Titanic? A. Korallenriff, B. Eisberg.«
    Komisch, diesmal nur zwei. War das eine Finte? Ein Hinterhalt?
    Ich konnte mich noch gut an den Eisberg erinnern, der sich der Titanic in den Weg gestellt hatte.
    »B«, sagte ich. Der Weltretter gab die Antwort weiter.
    Dann war er verschwunden. Wie auf einer Abschussrampe wurde ich aus dem Wasser in den Himmel geschleudert und kurvte wie ein Planet im Kreis herum. Ich befand mich plötzlich in einer Warteschleife. Oder besser, in einer Zeitschleife. Ein Jahr wurde zu einer Stunde. Eine Stunde zu tausendfachem Händeklatschen. Ein Moment zu einer Ewigkeit. Das Ende zu keiner Entscheidung. Die Zukunft vertagt in die Zukunft.
    Dann leuchtete ein Signal auf: Game over.
    * * *
    Ich sah einen jungen Mann an einem Computer sitzen und hörte ihn vor sich hin grummeln: »Das Spiel ist aus.«
    Ich konnte mir nicht so richtig vorstellen, was das zu bedeuten hatte. War die Welt nun gerettet oder vernichtet? Oder war die Entscheidung vertagt? und wo war mein vogelähnlicher Freund?
    Der Mann am Computer saß vor einer großen Fensterfront. Dahinter war das Panorama einer Stadt zu sehen. Ein Fluss, eine blaue Straßenbahn, eine Fahne, die auf einem hohen Gebäude wehte. Rot mit einem weißen Kreuz.
    Die Flagge der Schweiz! , dachte ich. Das ist Zürich. Also ist die Welt noch nicht vernichtet, wenn die tapfere Schweiz noch am Leben ist.
    Eine verzerrte Stimme sagte erneut: »Das Spiel ist aus.«
    Das Spiel ist aus? So ein Schwachsinn. Das würde ja bedeuten, dass auch ich am Ende wäre.
    »Moment mal«, sagte ich. »So geht das aber nicht. Ihr könnt mich doch nicht einfach …«
    Noch ehe ich weitersprechen konnte, leuchtete eine rote Zahl auf, die achtzehn.
    Was hat das nun wieder zu bedeuten? , fragte ich mich.
    Die siebzehn leuchtete auf.
    Daneben erschien eine weitere Zahl: Fünfhundertvierundfünfzig Mark.
    Ich werd verrückt! , dachte ich. Das Spiel geht weiter, jetzt auf einer ganz anderen, gegenwärtigen Ebene.
    Ich werde schon wieder versteigert!
    Das letzte Gebot lag bei fünfhundertvierundfünfzig Mark. Julius hatte nicht mal sieben Dollar für mich bekommen. Jetzt war ich fast das Achtzigfache wert.
    Dabei lag nicht allzu viel Zeit dazwischen.
    Wie viel eigentlich? , fragte ich mich. Wie lange war ich in diesem ominösen Cyberspace unterwegs? Wie lange war ich Teil dieses Spiels, das sich »Herozero« nannte?
    Ich wusste es nicht.
    Die Zwölf leuchtete auf.
    Noch zwölf Sekunden.
    10, 9, 8 …
    555 Mark.
    6, 5, 4 …
    560 Mark.
    3, 2, 1 …
    »Meins!«, rief jemand.
    Ich hatte einen neuen Besitzer. Ersteigert im Internet.
    * * *
    Als ich dann bei ihm war, war die Freude dahin. Große Enttäuschung machte sich breit.
    »Mist! Im Internet hast du ganz anders ausgesehen!«, sagte der Mann, der mir mit großen, enttäuschten Augen ins Gesicht schaute.
    Tja, so ist das manchmal , dachte ich. In Wirklichkeit sieht vieles anders aus.
    »So ein Mist!«, schimpfte der Mann. »Und für so einen Schrott habe ich fast sechshundert Eier ausgegeben!«
    Er fluchte ununterbrochen.
    »Du bist total hässlich!«
    Der Mann stellte mich auf den Kopf und schien zu überlegen, ob er mich erst an die Wand knallen oder sofort im Müll entsorgen sollte.
    »Und kaputt bist du auch noch!«
    Ich merkte, wie es in ihm arbeitete, als er überlegte, was er mit mir anfangen sollte. Auf jeden Fall wollte er mich so schnell wie möglich wieder loswerden. So schien es zumindest.
    Keine dreißig Minuten später bot er mich zum Einstiegsgebot von nur einer Mark bei der Versteigerungsbörse an.
    Frechheit , dachte ich und würdigte ihn keines Blickes.

1999, Littleton, Columbine, Colorado, USA
    Als sich das Paket öffnete, blickte ich in ein freundliches, rundes Gesicht, eingerahmt von lockigen Haaren. Hinter dem Gesicht hing ein Din-A4-Kalender an der Wand. Es war der
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