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Der Novembermörder

Der Novembermörder

Titel: Der Novembermörder
Autoren: Helene Tursten
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Brust.
    Aus dem Behandlungsraum war jetzt lautes Schluchzen zu hören.
    »Geh nicht, Henrik. Lass mich nicht allein hier!«
    Henrik von Knecht schloss die Tür und lehnte für einen Moment seine Stirn dagegen. Dann richtete er sich auf, holte tief Luft und folgte dem Pfleger. Die beiden waren fast gleich groß. Aber alles, was bei dem dunklen Pfleger Stärke und Wärme ausstrahlte, schien bei Henrik von Knecht genau das Gegenteil auszudrücken. Sicher, er war groß, ging aber gebeugt. Der teure Ulster hing ihm lose um den Leib. Sein blondes Haar war am Scheitel bereits schütter. Um das zu verbergen, hatte er seinen langen Pony nach hinten gekämmt. Sein Gesicht war scharf geschnitten. Es war eigentlich ein hübsches Gesicht, aber die Blässe und der helle Ulster verliehen ihm ein sonderbar ausgewaschenes Aussehen.
    Er ging auf Irene zu. Seine Stimme klang schroff und rau, als er zögernd sagte: »Ja bitte, Sie wünschen?«
    »Ich bin Inspektorin Irene Huss. Wir wären Ihnen äußerst dankbar, wenn Sie uns bei einer Sache behilflich sein könnten.«
    »Und die wäre?«
    »Wir bräuchten den Schlüssel zur Wohnung Ihrer Eltern.«
    »Den Schlüssel? Wozu denn?«
    »Damit wir die Tür nicht aufbrechen müssen, um die Wohnung zu durchsuchen. Das ist in so einem Fall immer notwendig. Und es ist doch nur gut, wenn man das Schloss nicht kaputtmachen muss. Oder die Tür.«
    Es schien, als wolle er protestieren, aber stattdessen schluckte er und drehte sich auf den Hacken um. Über die Schulter sagte er: »Mama hat den Hausschlüssel in ihrer Handtasche.«
    Er verschwand im Behandlungszimmer. Irene konnte von dort ein aufgeregtes Gemurmel von Stimmen und lautes Schluchzen vernehmen. Henrik von Knecht kam nach ungefähr fünf Minuten zurück. Sein Gesicht hätte zu einer verwitterten Marmorstatue gehören können. Aus dem Zimmer war eine angespannte, dünne Frauenstimme zu hören: »… die Schlüssel zurück. Auch wenn sie …«
    Der Wortschwall wurde abgeschnitten, als Henrik von Knecht fest und entschlossen die Tür schloss.

KAPITEL 2
    Henrik von Knecht sprach während der fünfminütigen Autofahrt kein einziges Wort. Er saß da. den Kopf vornübergebeugt, die Stirn in die Hände und die Ellbogen auf die Knie gestützt.
    Inspektorin Huss forderte ihn nicht auf, sich anzuschnallen, sie ließ ihn versunken in seine Trauer und sein Schweigen sitzen. Als sie in die Molinsgatan einbogen, sah Irene Huss, dass nicht nur Kommissar Andersson und die Leute von der Spurensicherung vor von Knechts Haus warteten. Zwei Personen, die sie nur zu gut kannte, drückten sich vor der Eingangstür des Herrenausstatters herum. Sie fuhr an ihnen vorbei und bog nach links in die Engelbrektsgatan ein. Irene Huss berührte vorsichtig Henrik von Knechts Arm, worauf er zusammenzuckte, als hätte sie ihn geweckt.
    »Was ist los?«, fragte er verwirrt.
    »Ich will einen Bogen machen und in der Aschebergsgatan parken. In der Ecke vorm Herrenmodengeschäft stehen zwei Typen von der Zeitung. Können wir über den Hinterhof ins Haus kommen und von dort aus den anderen die Tür öffnen? Dann entkommen Sie den Hyänen«, erklärte Irene Huss.
    Ein angespannter Zug fuhr über sein Gesicht, und plötzlich schien er hellwach zu sein.
    »Parken Sie rechts bei den Erik-Dahlbergs-Treppen. Stellen Sie sich auf einen der beiden äußersten Plätze«, dirigierte er.
    Sie hatten Glück, einer der Plätze war frei. Irene Huss sah den blutbefleckten Ulster an. Sie bat Henrik von Knecht, noch sitzen zu bleiben, während sie zum Kofferraum ging. Dort fand sie einen alten, öligen, blauen Helly-Hansen-Pullover und die schwarze Kappe ihrer Tochter, mit »N.Y.« bestickt. Sie gab ihm die Sachen und sagte: »Ziehen Sie den Mantel aus und das hier an.«
    Ohne eine Miene zu verziehen, zog er sich schnell im Auto um.
    Sie gingen mit raschen Schritten über den Zebrastreifen. Das war der kritische Moment. Sie musste sich zwingen, nicht zur Ecke fünfzig Meter weit entfernt zu gucken. Mit erzwungener Ruhe gingen sie noch ungefähr zehn Meter weiter. Henrik von Knecht hielt vor einer massiven Holztür an. zog einen Schlüsselbund aus der Tasche seiner maßgeschneiderten Hose und schloss die Tür auf. Einer der Fotografen steckte seinen Kopf um die Ecke, schien aber nicht auf die Kontraste von Henrik von Knechts Kleidung zu reagieren.
    Sie schlüpften durch die Tür und gelangten in einen Fahrradraum. Es war ein kombinierter Fahrrad- und Müllraum, eigentlich ein etwa zwanzig Meter
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