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Der neunte Ton: Gedanken eines Getriebenen (German Edition)

Der neunte Ton: Gedanken eines Getriebenen (German Edition)

Titel: Der neunte Ton: Gedanken eines Getriebenen (German Edition)
Autoren: Peter Maffay
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Die Menschen – so stelle ich immer wieder fest – haben sich noch nicht an Rumänien als Teil Europas gewöhnt. Es ist das ungeliebte Kind, mit dem niemand spielen möchte. Aufbauarbeit war und ist noch immer notwendig. Leider lernte ich in diesem Zusammenhang auch schnell, wie wenig Verlass auf die rumänische Politik ist. Gespräche mit Ministern begannen immer sehr verheißungsvoll, liefen dann aber meistens ins Leere. Von den zahlreichen Versprechen, die ich in Bukarest erhalten habe, wurde nur eine Handvoll realisiert. Auch das ist Rumänien. Die Strukturen sind manchmal noch verkrustet.
    Vor der Eröffnung gab es noch allerhand zu tun. Unser Plan war es, die Bevölkerung von der ersten Minute an mit in die Projekte einzubinden, Arbeitsplätze zu schaffen und Perspektive für die Zukunft zu entwickeln. Wir konnten weitere Partner ins Boot holen: Die Bertram Pohl Stiftung aus Luxemburg half uns beim Aufbau eines Ärztehauses. Ärztliche Versorgung hatte es in Radeln lange nicht mehr gegeben, wenn überhaupt. Nun kann die Dorfbevölkerung einmal pro Woche die Sprechstunde einer in der Nachbarschaft stationierten Ärztin in Anspruch nehmen. Viele Sponsoren folgten diesen Beispielen. Wann immer ich in Deutschland unterwegs war und über das Projekt in Rumänien sprach, kamen Menschen auf mich zu und boten Hilfe an. So zum Beispiel über die Aktion »Deutsches Handwerk hilft« mit Unterstützung des Holzmann Verlages in Donauwörth. Wir erhielten Badezimmer für das Kinderprojekt, Werkzeuge, Möbel und viele gute Ratschläge. Die Fanclubs sammelten Spenden und bis heute vergeht kein Tag, an dem sich nicht Menschen in meinem Büro melden, die sich einbringen wollen.
    Wir wurden zu einem Sprachrohr für Radeln und ich muss gestehen, dass mir diese Aufgabe gefällt. Wir versuchen, den Menschen dort, überwiegend Sinti und Roma, eine Stimme zu geben. Ich kann gelegentlich meine Bekanntheit nutzen, um über Rumänien zu sprechen. Vorurteile können nur dann abgebaut werden, wenn man sich mit ihnen auseinandersetzt. Dann hat man eine Chance, sie zu überwinden und falsche Vorstellungen, die unter anderem durch die Medien entstanden sind, geradezurücken. Nicht jeder Rumäne ist korrupt, nicht jeder Rumäne ein Autodieb – genauso wenig, wie nicht jeder Deutsche ein Neonazi ist. Schwarze Schafe gibt es überall. Fatal wird es, wenn wir Verallgemeinerungen unwidersprochen zulassen.
    Der Sommer 2011 nahte und damit die Einweihung der Einrichtung. Nur kurze Zeit war seit dem Richtfest vergangen und ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie ich an einem eisig kalten Januartag den ersten Spatenstich vornahm. Dicker Schnee lag auf dem tief gefrorenen Boden. Viele Häuser wurden nur notdürftig beheizt. Trotz der Armut und der einfachen Lebensumstände geben die Menschen gern das, was sie haben. Sie zeichnen sich durch ihre Herzlichkeit aus und immer wieder berühren mich kleine Gesten. Wahrscheinlich sind Menschen in dieser Art Lebensumstände dankbarer als die Mitglieder unserer Gesellschaft, wenn ich dies so provokativ in den Raum stellen darf. Die Bürger in Radeln haben über Jahrzehnte Ablehnung erfahren und dies hat sie zusammengeschweißt. Es gibt kaum Statussymbole, an denen sie sich messen.
    Wir landeten früh mit einer großen Gruppe von Mitarbeitern und Freunden in Hermannstadt. Von hier aus ging es zwei Stunden mit dem Auto Richtung Schäßburg. Je näher ich kam, desto nervöser wurde ich. Es war ein großer Tag, der uns bevorstand, und auch mein Vater war mit seiner zweiten Frau angereist. Die Einweihung war ein erster wichtiger Schritt für das Projekt. Ich wollte direkt weiter nach Radeln, wollte am Tag vor der Eröffnung noch einmal alles unter die Lupe nehmen. Als ich in das Dorf fuhr, stockte mir regelrecht der Atem: Die Dorfgemeinschaft hatte Radeln herausgeputzt. Die Menschen fegten vor ihren Häusern und halfen uns bei den letzten Vorbereitungen.
    Der große Tag war da. Schon frühmorgens strömten Dorfbewohner, geladene Gäste, Pressevertreter und Fans in Richtung Kirchenburg. Die politischen Ehrengäste reisten an und in dem ganzen Trubel brauchte ich einen Augenblick für mich. Ich schlich mich allein in die Kirchenburg, setzte mich auf eine der alten Holzbänke und ließ meinen Gedanken freien Lauf. Es war die richtige Entscheidung, zurück nach Rumänien zu gehen, um hier wieder Fuß zu fassen. Und es war eine kluge Investition in die Zukunft. Die Mühen der letzten Jahre hatten sich gelohnt, die
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