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Der neue Daniel

Titel: Der neue Daniel
Autoren: Willy Seidel
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herausgraben müsse. Und er wandte sich und krallte die Finger in die Fugen der Wand. Schweiß brach ihm aus und seine Seelelechzte danach, ihn zu schauen, diesmal ganz zu schauen. Aber noch geschah nichts, noch war um ihn herum fühllose Kälte. Und wie er sich wieder umwandte, hatte sich die Grube erweitert. Das Murren war geblieben; die Augen der Raubtiere starr auf ihn gerichtet, aber es schien, als seien diese selbst verwandelt, als glichen diese Leuten, wie er sie kannte und verabscheute, wie er sie stündlich um sich hatte und die auf einmal trotz ihres sonst gewohnten Anblicks etwas Verändertes zur Schau trugen, etwas dämonisch Bösartiges, das er sich nicht erklären konnte.
    Sie glichen alle einander; waren ähnlich gekleidet, hatten ähnliche Gesichter; aber in ihrer Masse hatten sie etwas Bedrohendes und schnaubten ihm ihre Vertilgungslust entgegen als Strom von schmutzigen Worten, in dem schön gefügte Phrasen zerbrochen umhertrieben: – Große Wörter, die, einzeln genommen, sinnlos waren; die nur zuweilen Satzgruppen bildeten und in ihrer Neuartigkeit verführten oder bezauberten. Jedoch der dunkle Schwall der Schmutzrede verschlang sie oder zerfetzte sie bis zur Unverständlichkeit.
    Was man von ihm heischte, wußte er nicht. Nur schien es, als kämen Argumente, die er sich nie erträumt, wie Pfeile aus dem Finsteren gefahren und prallten neben ihm an die Mauer; oder er spürte schmerzhaftes Zucken in der Brust bei einer besonders sorgfältig gezielten Phrase, die glatt an seinem Lebensnerv vorbeitraf.
    Sein Gewissen, sein deutsches Gewissen, war ungeschickt. Die Pfeile prallten nicht alle davon ab. Viele blieben zitternd stecken und brannten. Er hatte ihnen nichts entgegenzusetzen als die schwerfällige Kraft, die sich wohl der Argumente annehmen wollte, aber das Zurückschlagen war nicht möglich. Es waren ihrer zu viele und er brauchte noch einen Schild, um dahinter zu grübeln und das Schlagwort zu finden, das diese Pfeile entgiften und machtlos machen sollte. Wer bot ihm den Schild?
    Der Ansturm ward größer; das Getöse lauter. Er schritt hin und her, doch überallhin folgten ihm die weisen Sentenzen, diese hämisch nach oben gedrehten, an Fragezeichen wie an Peitschenschnüren durch die Luft geknallten Sätze. Und er fühlte, daß sein Geist genug an einer dumpfen und reichen Logik barg, um sie zu widerlegen, so wie er damals die Löwen in die Ecke gescheucht. Nur mußte man ihm helfen.
    In diesem Moment äußerster Willensanspannung geschah folgendes: Er spürte, wie sein Ich eine Wandlung erfuhr; wie sich etwas in ihm zu gleichen Teilen trennte, wie Öl vom Wasser sich trennt.
    Er tat nichts dazu. Nur blickte er mit Staunen auf. Er hatte gesehen, wie die Meute zögernd zurückwich, und das Geschwirr der Fragen und Anklagen schwoll gedämpfter.
    Zu seiner Rechten stand schimmernd ein etwa zwölfjähriger Knabe. Er sah ihn an. Es warjener blonde Knabe, den er soeben noch im Spiegel erblickt.
    Zu seiner Linken stand ein Mann, der genauer betrachtet einem glich, den er unlängst gekannt. Er hatte ein scharfes Profil und über seinem Haupte dämmerte der Umriß eines eisernen Helmes.
    Diese Zwei, so wesensfremd sie einander waren, schienen wie Klänge eines Akkordes, die man einzeln anschlägt, auseinanderzutreten und sich doch im Geheimen tief verwandt zu bleiben. Zwei Naturen waren das: – dieser besinnliche Knabe, in dessen blaugrauen Augen, leicht gebuckelter Stirn und weichem Munde künftige schrankenlose Schöpfertätigkeit keimte; den seine kräftigen Beine mit den sonnenbraunen Knien durch die Welt tragen würden im dumpfen Wagemut gestaltender Phantasie: – und der Andere, die kaltberechnende Kraft, die stählerne Energie, die den Weicheren schützt und ihn vor Unbill und Erniedrigung bewahrt. Diese beiden waren vereint denkbar. Doch der Knabe war der Größere, er war der Erste, der aus der Mauer getreten.
    Der Mann hatte einen Schild und überreichte ihn Daniel. Dann stellte sich der Krieger spreizbeinig, mit unbewaffneter Brust, vor die Meute hin; und Daniel fühlte den Regen der Pfeile verstärkt auf dem Schilde. An diesem vorbei sah er, wie der Krieger langsam mit steifem Gang in die Dunkelheit hineinschritt; wie eine formlose dunkle Masse sich auf ihn stürzte undwie er nach einer heroischen Abwehrbewegung wie in einer Wolke darin unterging – – ein Antlitz zurückwendend, das die Maske eines rätselhaften Leidensübermaßes trug.
    Und es überkam Daniel Furcht: Nun jener
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