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Der neue Daniel

Titel: Der neue Daniel
Autoren: Willy Seidel
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bloß mir auf die Nerven, du arbeitetest dich ab auf dem wesensfremden Hintergrunde hier; eine Karikatur warst du, ein schlechtangebrachtes versprengtes Stück aus dem geometrisch reizlosen Mosaik fern dort drüben, das man mit Stahl und Zement zusammengekittet: – demselben Zement, aus dem man in blutigem Schweiß, in keuchender und am Ende verröchelnder Kraftentfaltung, die schlimmen Termitenbauten dieses Krieges schuf. – Welch ein Schicksal!
    Der Trieb war in dir, der Sache zu dienen, und mit welcher Folgerichtigkeit rang sich der Dämon Pflicht in dir müde! Du warst konsequent, und diese Konsequenz mußte dich vernichten. Ja, triebst du nicht eigentlich Selbstvernichtung? War es etwa alles bewußt , was du hier vollführtest?
    Mit einem Male, mit einem tieferen inneren Schrecken glaubte Erwin zu erkennen, was das Wesen des Belächelten und offen Verachteten im Grunde genommen bedeutet hatte. Ja, Zuckschwerdt hatte (darüber durfte er sich keinem Zweifel hingeben) bewußt Selbstvernichtung getrieben.
    Er war intelligent genug gewesen, um zu erkennen, wie er sich schadete. Aber es schien, als habe er mit einer wahren Wollust sich an den Kanten blutig gerissen, die das Leben hier im Lande fanatischer Ideenfremdheit ihm auf Schritt und Tritt entgegenschob.
    Je mehr er diese Fremdheit, den demokratischen Gedanken, gegen den seine ganze Tradition sich mit jeder Fiber sträubte, gegen sich anschwellen fühlte, desto bewußter, desto eckiger hatte er seinen Geist, den Geist der letzten vierundvierzig Jahre, dagegen ausgespielt.
    Er war geschmacklos, er war töricht; aber er war echt. Die innere Unruhe ließ ihn nicht müde werden. Es mußte ihm fast eine Erlösung gewesen sein, als die Kraft, die er bekämpfte, ihn im Nacken packte; als diese schleichende, lächelndeVerlogenheit, die er nicht durchschauen konnte der Charakter dieser Rasse hier, – die ihre Selbstbeherrschung und ihr Rückgrat an so ganz anderen Stellen zeigte, wo er sie seinem eigenen Wesen nach vermuten konnte – plötzlich und brutal die Zähne zeigte. Er wollte dieses wie ein Aal ihm entgleitende Tier mit der Panzerhand packen und reizen. Er hatte es erreicht.
    Hinter dem Stacheldraht fand er Frieden; den Draht konnte er nicht mit den bloßen Händen zerfetzen. Er hatte genug gekämpft.
    Sein Kampf war ein stillerer als der an der Front. Es war ein fanatischer Kampf des Individuums gegen die Idee, des Stieres in der Arena, der mit den Hörnern im Sand pflügt und fast irrsinnig vor Wut darüber wird, daß die Widerstände, die er wittert, nie zu finden, nie zu zerschmettern sind.
    Aller Haß gegen den Mann ging in Erwin zur Ruhe.
    »Wenn ich die Wahl hätte,« dachte er, »ein Weltbild neu aus mir zu erschaffen und es irgend woher mit dem Material fruchtbarer Ideen zu füllen, so wüßte ich, daß ich mich nicht mehr vergreifen würde. Dieser Zuckschwerdt wurde produktiv, als er hinter dem Stacheldraht saß, produktiv auf seine eigene Weise. Wie sagte doch der Pastor? – »Er wurde sanft, gesellig und ein guter Kamerad.«
    Sanfte Geselligkeit, das ist etwas Schöneresals »Respekt«; Anhänglichkeit etwas Besseres als Strammstehen. Übereinkommen der Geister, aus sich selbst herauswachsende, freudig anerkannte Autorität, – ja werden wir einmal so weit kommen? Dann schaffen wir etwas Größeres wie diese billige Demokratie hier, diese käufliche »Selbstverwaltung«, diese Scheinfreiheit, diese Sklaverei dummer puritanischer Konventionen, diese Massenverblödung durch »ungeschriebene Gesetze«.
    Aber es ist wohl so, daß es nicht jedem geschenkt sein kann, konsequent zu sein. War ich es etwa, habe ich nicht hier gesessen und mich von Einflüssen umspielen lassen? War ich nicht der große Lurch am Sumpfe, der auf den Meteor wartete?
    Vielleicht bin ich charakterlos. Ja, ich lege sogar meine Hand ins Feuer darauf, daß ich es bin. Aber es gibt gewisse Entschuldigungen. Ich wäre nicht so stilvoll erledigt gewesen, wie dieser Leutnant. Mein Geist, der nur auf die künstlerische Gestaltung von Sinneseindrücken gerichtet ist, mein Körper, der Handfesseln und Gefängniszellen als mittelalterliche Marter empfunden hätte,... sie beide hätten revoltiert und mich umnachtet.
    Ich wäre nicht »sanft und gesellig« geworden. Ich wäre auch kein Idiot geworden, sondern ein geiferndes Tier in der Zwangsjacke, dunkelsten Instinkten ausgeliefert und auf sinnlose Zerstörung erpicht. Man hätte das nicht mit mirmachen dürfen. Der alte Mann am
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