Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der neue Daniel

Titel: Der neue Daniel
Autoren: Willy Seidel
Vom Netzwerk:
Menschheitsbeglückern. Hoffen wir, daß du unter die Handelnden und nicht unter die Schwätzer fällst.
    Mildred hörte von Zuckschwerdts Tod.
    Drei Tage lang sagte sie nichts und am vierten endlich mit einem leichten Zurückwerfen ihres Kopfes: »Er hat ja die kleine Katze umgebracht; aber die Schwätzer in der Welt haben mehr Morde begangen als er. Wilsons Rekord zu brechen wäre ihm selbst hinter einem Maschinengewehr nicht gelungen. Er hatte Rasse. Das sehe ich jetzt ein, und darum entschuldige ich ihn.«
    Der Funke von Unruhe, den die Nachricht des Pastors in Erwins Blut geworfen, schwelte weiter. Ihm war, als ob dieser Vorgang nur symbolisch sei für etwas Größeres, Kommendes.
    Doch ward er sich dieser Unrast nur in vereinzelten Momenten bewußt; im allgemeinen hielt die grenzenlose, alles niederhaltende Nüchternheit ihres Lebens ihre Faust auf ihm. Das einzigPositive, was die Nachricht zurückließ, war eine Melancholie, wie er sie noch nicht gekannt, die mit Resignation oder Stumpfsinn nichts zu tun hatte. Irgend etwas Bewußtes stand dahinter.

Der Knabe im Spiegel
    Die Hitze war zwar durch die erhöhte Lage des Hauses etwas gemildert, da der langgestreckte Hügelkamm von stetigen Winden bestrichen wurde, aber auf Erwin drückte sie. Er konnte von der Gewohnheit nicht lassen, sich in seiner Dachstube aufzuhalten. So hatte er wenigstens die melancholische Beruhigung, Wände um sich zu haben und sich einzubilden, er sitze in einer gesicherten Zelle, die er sich freiwillig erwählt.
    Was waren es auch schließlich anderes als Zellenwände, was ihn umgab? Abgesehen von einer Bibliothek von hauptsächlich englischen Werken, die er sich im Laufe der Zeit gesammelt, von ein paar Buntdrucken, die er sich gelegentlich aus den Beilagen der Hearstblätter ausgeschnitten, lebte keine Vertraulichkeit darin und sprach nichts zu seiner Seele.
    Das erhitzte Dachgestühl schickte Wärme nach unten und belastete ihn. Aber hätte er auch im ersten Stock gesessen, so hätte ihn der Anblick Mildreds, die blaß und mechanisch mit toten Augen umherblickend geschäftig war, zu sehr gereizt. Es war vorgekommen, daß sie einen kleinen Streit vom Zaune brachen, nur um dieses gefährlichlähmende Gefühl der Abgeschlossenheit durch die Erregung über eine noch so läppische Kleinigkeit abzulenken.
    Er hatte jähzornige Momente gehabt, wo er eine Tasse mit der Hand zerdrückte oder einen Stuhl sinnlos beschädigte ... Sie war kurzen Weinkrämpfen unterworfen, die ihn ernüchterten, so als ziehe man ihm den Boden unter den Füßen weg. Das Gefühl der vollständigen Hilflosigkeit vor dieser Mißhandelten, die Ohnmacht, ihr zu helfen, rieben ihn fast noch mehr auf, wie ein solcher Anfall selbst. Die Nerven der beiden waren so gespannt, daß die kleinste Reibung genügt hätte, um sie schrill zum Zerreißen zu bringen. Deshalb hielt der dumpfe Selbsterhaltungstrieb sie von Zeit zu Zeit voneinander fern.
    Er scheute Szenen, scheute die Beschämung, die solchen Auftritten unmittelbar darauf folgte und die Liebkosungen, die ihren Anlaß aus so nichtigem Zwange heraus schöpften.
    Es war im August und er hatte sich wieder angekleidet auf das Bett gelegt, und seine leicht im Wasser schwimmenden Augen grasten die blanke Decke ab.
    Es hatte ihn heute – und er wußte nicht warum – eine besondere lähmende Mattigkeit von Herz und Hirn ergriffen.
    Wenn man mich eingraben könnte wie einen Fakir und mich nach Jahren wieder ans Licht bringen, so wäre mir vielleicht geholfen. Ichhätte dann vielleicht noch eine kleine warme Stelle am Scheitel, in der der letzte Rest des Lebens wachgeblieben wäre; sonst wäre ich kalt, empfindungslos und wachte auf in eine vielleicht menschenwürdigere Welt hinein.
    Aber man muß ja atmen, leben, existieren, von Fratzen umgeben. Man muß unter der Presse dieses Alpdruckes mühsam weiteratmen, bis vielleicht das Herz von selbst aufhört zu schlagen. Warum kreist dieser Blutstrom noch durch meinen Körper?
    Er lag still. Er erstarrte im Liegen. Er versuchte sich selbst zu hypnotisieren, in den Hochschlaf hinein. Es gelang ihm, indem er die Augen in das stammende Fenster richtete und sich mit aller Energie dazu zwang, an nichts zu denken.
    Die leisen Unbehaglichkeiten, die ihm noch wie Ameisen über den Körper wimmelten, verloschen allgemach. Ihm schien, als schwebe er gewichtslos im Raum. Sein Geist belauerte die träge Masse, die statt seiner auf dem Bett lag, und kroch langsam, langsam hinter die Schwelle des
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher