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Der neue Daniel

Titel: Der neue Daniel
Autoren: Willy Seidel
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Landschaft gefällt mir, und es wird ja auch ringsumher, von den Straßen entfernt, idyllischere Plätzchen geben. Sehen wir zu, was dieser Jüngling uns vorzuschlagen hat.«
    Damit richtete er einen fragenden Blick auf eine in sorgfältig gebügeltes weißes Flanell gekleidete Figur unbestimmten Alters, die irgendwie lautlos aus dem Hintergrunde auftauchte und mit zuckenden Bewegungen magerer Finger den Haufen Prospekte auf dem Tisch zu ordnen begann.Mit kurzen Worten wies Erwin auf sein Begehren hin, nämlich ein gemütliches, gut möbliertes Häuschen in der Nähe oder etwa ganz auf dem Lande, wonach der Jüngling, ihn tot ansehend, hervorstieß: » Yes Sir; very well, Sir! « – und dann von irgendeinem Regal ein Bündel Photographien raffte, das er Erwin vorwarf, so zwar, daß diese Bilder irgendwie bereits zauberhaft geordnet vor dem Verblüfften zu liegen kamen. Hierauf begann er zu erklären. Sein nasales Englisch haspelte sich in rasender Geschwindigkeit durch ein Loch seiner gummiartig verzogenen Lippen. Zwischendurch grinste er, erwartete Anerkennung, beinahe Komplimente; stürzte sich auf ein neues Bild und war mit zehn von diesen Ködern bereits fertig, ehe Erwin auch nur daran denken konnte, sich irgendwelche Begriffe zu bilden. So schien es eine Art Lotteriespiel, als der Kunde auf gut Glück seine Faust auf ein Bild legte, das ihm anmutiger erschien als die anderen.
    »Ich möchte mir das da gern einmal ansehen.«
    »Nummer dreiundsiebzig. Jawohl, mein Herr,« knarrte der Jüngling, um im selben Tonfall, nur mit erhöhter Stimme, anzuordnen:
    »Bringt sie heraus von hinten!«
    Wer diese »sie« war, erklärte sich sofort, als ein ziemlich mitgenommener Ford-Viersitzer von außen um das Bureau herumwankte und sich mit schnarrendem Getöse vor die Tür schob. Das Wesen im weißen Flanell machte einen Satz über den Zahltisch und sprang, noch von der Schwelle,auf den Chauffeurplatz, der von einem flachshaarigen Knaben freigegeben wurde. Mit äußerster Zeitersparnis wurde auch Erwin in den Wagen genötigt, und er hatte erst Gelegenheit, die Türe zuzuklappen, als das Gefährt sich mit weitem Satz, der die Lachen spritzend zerpflügte, auf eine wilde Wanderschaft in die Regendämmerung hinaus begab. Der Jüngling fuhr so sicher, schien die Gegend derart unheimlich zu kennen, daß er, halb von seinem Steuerrad zurückgewandt, Zeit und Muße fand, Erwin weiterhin mit großen Salven von Nasaltönen zu bedenken. Sein Redefluß ähnelte im Tempo dem des entfesselten brüchigen Motors, an dem er das Äußerste an Leistungsfähigkeit herausholte. Mit europäischer Höflichkeit, leicht vorgebeugt, nach Verständnis der Bemerkungen ringend, die ihm im Telegrammstil zugefeuert wurden, versäumte Erwin, sich die Gegend zu betrachten, durch die man fuhr. Nur unklar kam ihm zum Bewußtsein, daß die letzten zehn Minuten hindurch eine gleichmäßige, wie eine Hecke geschnittene Wand von Grün an seiner Seite entlang glitt. Es war kein Wunder, daß der Jüngling des Weges nicht achtzuhaben brauchte, da es sich um eine schnurgerade Straße handelte, an der rechts und links, unklar erkennbar, anscheinend hübsch gebaute und mit Veranden versehene Sommerhäuschen lagen. Als er gerade Luft schöpfte und sich umsehen wollte, fuhr ihm eine Tropfengarbe ins Gesicht; im gleichen Moment machte der Wagen eine abrupte Drehung,noch eine ebenso plötzliche Wendung, stolperte ein wenig, fauchte röchelnd auf und hielt vor einer kleinen Villa inmitten von Fichten und kleinen Laubbäumen, welche die Einfahrt schmückten.
    »Hier ist Ihr Haus,« sagte der Jüngling mit schöner Überzeugung und mit einer Gebärde, als habe er den ganzen Staat New Jersey zu verschenken. »Nehmen Sie sich Zeit, ich werde Sie begleiten.«
    Er zog einen Schlüssel hervor, öffnete die Haustüre und ließ Erwin eintreten.
    Vorläufig hielt man sich im Erdgeschoß auf, und der Jüngling wies Erwin einen gepolsterten Stuhl zu, während er sich selbst auf die Fensterbrüstung setzte.
    » Yes Sir! « sagte er. »Wenn Sie sich hier umsehen, dann werden Sie bemerken, daß dies das Haus eines gebildeten Mannes ist, eines Mannes, der studiert hat. Ja, er ist auch einmal in Europa gewesen,« und er wies auf eine Reihe von Photographien aus Italien und Griechenland, die die Wand oberhalb des Bücherbrettes verschönten. »Er ist ein Seelsorger, ein sehr feiner Mann, und er betreibt Mission im Judenviertel von New York. Seine Frau ist krank. Die arme Dame muß in
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