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Der neue Daniel

Titel: Der neue Daniel
Autoren: Willy Seidel
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Kirche und gesellschaftlichem Leben, das von einer großen Ansiedelung gepflegt werde. Ja, diese Schilderung überbot sich selbst, als sie die Vorteile des Country-Klubs, die Reize der Gegend, des Ruderns, Reitens und Motorfahrens erschöpfte; auch streifte sie mit ernstem Seitenblick die Verdienste um Gemüt und künstlerische Bedürfnisse, deren Lakewood sich erfreute, erwähnte den Nachmittagstee in den Hotels, nannte ihn mit Entdeckerfreude eine scharmante englische Volkssitte und verweilte des längeren auf den erstklassigen Lichtbild-Theatern. »Der herrliche Park des Mr. Gould ist dem Publikum weit geöffnet, und eine große Tribüne bietetTausenden Sitzgelegenheit, die das Pferde-Polo genießen wollen ...« Der Artikel schloß mit einem Loblied auf die Zentral-Bahn von New Jersey und mit kordialer Einladung, sich, falls man noch nicht ganz überzeugt sei, brieflich über all diese Vorzüge zu vergewissern.
    Erwin fühlte auf diese Annonce hin eine gewisse Wehmut. Irgend etwas Europäisches in ihm geriet in Versuchung, der Idee näher zu treten. Das las sich ja genau wie eine Schweizer Hotelreklame; wie? ein Duft von Lugano oder sonst einem paradiesischen Fleck der Alten Welt war darin ... Dieser aus kindlicher Reise-Frühe stammende Duft machte ihm zu schaffen ... Rest eines Märchenglaubens an verschollene Prospekte ... Der Kontrast zwischen dem gegenwärtigen Dasein und dieser kaum fünfzig Meilen entfernten landschaftlichen Perle war ungeheuer; wie hätte er den Mut gefunden, zu glauben, die ganze Schilderung sei nur der Geschäftsphantasie eines Grundstückvermittlers entsprungen? So setzte er sich auf die Bahn und fuhr nach Lakewood hinaus.
    Mit den Fichtenwäldern hatte der Prospekt recht, wenn sie auch nicht das Augenfälligste waren, was ihm zunächst begegnete. Etwas sumpfiges Land, gesprenkelt mit Birkenbeständen, Erlengestrüpp, Weiden und von wildem Wein pittoresk verhängten Platanen und Pappeln waren bei der Einfahrt in den kleinen Bahnhof bemerkbar. Der Bahnhof war äußerst neuzeitlich,sehr appetitlich aus Zement, roten Backsteinen und weißgestrichenen Fensterverschalungen errichtet; das Personal von einer blühenden, dunkelblauen Sauberkeit und patriarchalischer Würde. Ernste Gepäckträger gaben ihm Audienz, und einer von ihnen ließ sich sogar herab, seine Handtasche schlenkernden Schrittes über die sandige Straße nach einem kleinen Wohnungs-Vermittlungsbureau zu bringen, wobei nichts in der Welt ihm ferner lag, als sich um den Herrn des Gepäcks, den leicht transpirierenden, überflüssig erregten Fremden zu kümmern...
    In dem Vermittlungsämtchen, einer reinlichen Stube in mäßigstem Format mit einem Mahagonizahltisch, auf dem illustrierte Broschüren Lakewood von allen Seiten und in jeder Beleuchtung zeigten, stellte der pompöse Träger das Gepäck auf den Boden und verließ ihn mit einem schläfrigen Grunzlaut, nachdem er leicht sinnend auf das Fünfzigcentstück geblickt, das er sozusagen nur aus Gewohnheit in seine Tasche schlüpfen ließ. Während Erwin auf Bedienung wartete, verfinsterte sich der asphaltierte Raum; ein paar Donnerschläge erschütterten die Fenster und harte Tropfen klatschten auf die staubige Straße, um sich nach weiteren zehn Minuten zu einem Landregen zu entwickeln, der solide Dauer versprach. Erwin hatte sich, bevor er eingetreten war, noch ein wenig umgeblickt, hatte ein paar enorme Hotels wahrgenommen, hübsche, flache, sechsstöckige, in einer Art von Schweizer Stil errichtete Gebäude,abgezirkelte Wege, von samtenen Grasflächen gezierte Gärten und einige Privatpaläste, die offenbar sehr reichen Leuten gehören mußten, denn niemand schien darin zu wohnen, und sie waren augenscheinlich nur für einen späteren Saisonbetrieb in eine halbe Bereitschaft gesetzt.
    Jetzt aber, als er sich noch näher über das Städtchen durch das Fenster hindurch orientieren wollte, löschte der gleichmäßig graue Regen alles aus und versperrte ihm die Welt. Nur die dunklen Klumpen einiger strotzender Laubbäume und die blutenden Farben pyramidenförmig angelegter Beete schimmerten noch hervor.
    »Sehr reizend,« dachte er, »vielleicht gerade das, was man sich wünscht. Natürlich, im Ort selbst wird man nicht wohnen können. Die vielen Garagen deuten auf einen entfesselten Motorbetrieb. Auch wenn diese Hotels alle gefüllt sind, wird man sich wohl einander lästig fallen und nicht gut zur Ruhe kommen. Scheint mir so eine Art amerikanisches Homburg zu sein, aber die
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