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Der neue Daniel

Titel: Der neue Daniel
Autoren: Willy Seidel
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Lebendigkeit, indem er über die geschlossene Klapptüre sprang, die Schlüssel dem neuen Hausherrn fast schelmisch zuwarf und sich in überflüssiger Weise um die Herausbeförderung der dicken Negerin bemühte.
    Man ging ins Haus und in einer Sekunde lag der Kontrakt, reif für die Unterschrift, auf dem Tisch.
    »So, mein Herr, jetzt fehlt nur noch Ihre und Ihrer Frau kleine Signatur und dann kann man Ihnen endgültig gratulieren. Sie bekommen es billig«, und mit einem fast bedauernden Schnalzen wiegte er den Kopf.
    Erwin setzte nach kurzer Überlegung seinen Namen darunter. Indem er Mildred die Feder reichte, bat er sie, das Dokument vollgültig zu machen.
    Es gibt Momente, in denen man auf einen flüchtigen, unkontrollierbaren Verdacht kommt, irgend etwas Wichtiges werde versäumt, etwas nie wieder Gutzumachendes bettle um Rücksichtnahme, ohne daß man klar verstünde, was diese lautlose, äußerst dringliche Frage bezwecke... Ja, alle Dinge ringsum bebten von dieser Frage, und eine kurze Lähmung schien herabzufallen wie ein Hauch, der die Politur einer Platte huschend erblinden macht. Mildred saß mit der Feder in der Hand da. Aufeinmal warf sie sie hin und ging auf die Veranda hinaus, zitternd von der Anstrengung, sich zu vergegenwärtigen, was eigentlich an der Unternehmung sie so schmerzhaft störe.
    Draußen traf ihr Blick in Grün. Zwei hübsch angelegte Beete, etwas verwildert, waren dem sandigen Boden entwunden worden; halbentblätterte, violette Azaleen und ein Tulpenbaum, dessen verdorrte Blütenhülsen von früherer, prangender Entfaltung zeugten, standen im Zentrum. Es war eine ausgedehnte Lichtung vor dem Haus. Sie sah die Straße blinken und die Nähe der Straße schien ihr plötzlich Mut zu geben, als habe sie, wie ein erstickender Taucher, plötzlich das Ventil gefunden, durch das sie atmen konnte. Die schnelle Bedrückung war vorüber, es war nur noch eine leise Angst vor irgend einer dunklen Verantwortung zurückgeblieben, die sie sich nicht zu enträtseln vermochte. Alles was sie sagen konnte, als sie zögernd zurückkam, war:
    »Es scheint mir ein wenig still hier zu sein.«
    Und sie schnitt dem Vermittler, der gerade zu einer neuen Suada ausholen wollte, das Wort kurz ab, indem sie hinzusetzte: »Aber das Haus ist ja ganz und gar, was ich mir wünschte.«
    Ja, innerhalb des Hauses schien plötzlich alles sehr traulich und einschmeichelnd zu ihr zu reden. Waren die Linien der Fenster nicht die breiten, niederen, ausladenden der Landhäuser in Sussex? War diese Vertäfelung nicht anheimelnd? Diese erinnerungsbelasteten, starkgebauten Möbel, dieseklassische Bibliothek, dieser Kamin und die gewundene Holztreppe, die ein weiteres Asyl eröffnete in eine Reihe kleiner, engumgrenzter, handlicher Gemächer? Kurz war das ganze Haus nicht, als habe sie es selbst erfunden, um sich über diesen Teil der Welt, der sie nicht losließ, der ihr wie ein Kerker schien, mit einem Kindheitstraum hinwegzutäuschen? »Es ist ja nicht für die Ewigkeit«, sagte sie sich noch einmal und grub die Schneidezähne leicht in die volle Unterlippe. Es wird vorübergehen, so oder so. Sie hörte bereits den wuchtigen Schritt des Negerweibes von oben und ihr gurrendes Selbstgespräch ... Ja, dieses Geschöpf war überall zu Hause und setzte sich in jeder Umgebung breit zurecht, wie es ihren ursprünglichen Instinkten entsprach. Warum sind wir so anspruchsvoll?
    Und kurz entschlossen setzte sie sich nieder und fügte ihren Namen bei.
    Eine kleine Unbehaglichkeit verursachte ihr noch die diebische Bewegung, mit der der Vermittler das Dokument in seine Tasche zauberte; er war aber sonst eitel Kordialität, sein Gemüt schien beruhigt, seine Augen wieder vollständig ausdruckslos, Knöpfen gleich, die einen Regenhimmel spiegeln.
    »Ich empfehle mich Ihnen! Viel Vergnügen in Ihrem neuen Heim!« sagte er mit eingelernter Betonung, als sei die Phrase ihm dauernd geläufig. »Wenn Sie meine Dienste beanspruchen, so stehe ich jederzeit zur Verfügung.« Mit diesenWorten war er bereits draußen. Der Motor schnurrte ruckweise keuchend und fand dann sein gleichmäßiges Geräusch, das schnell hinter der nächsten Wegbiegung sickernd erlosch.
    Die Beiden saßen sich noch am Tisch eine Weile gegenüber. »So da wären wir jetzt«, sagte Erwin. »Ich finde es erträglich hier.«
    »Ja, das Haus ist hübsch«, meinte sie. »Und mit der Umgebung – sie hat ja vielleicht auch ihre Reize, und wir werden uns ja daran gewöhnen. Morgen früh
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