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Der neue Daniel

Titel: Der neue Daniel
Autoren: Willy Seidel
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wollen wir gleich einen kleinen Spaziergang machen nach dort draußen«, und sie wies nach der Straße hin, »wo man mehr von der ›Aussicht‹ hat. Dann bekommt man wenigstens einen Begriff von der Landschaft.«
    »Fühlst du dich etwa hier eingesperrt?« fragte Erwin. Eine Pause entstand.
    Dann kam die Antwort... Sie war ein halb tonloses: »Ja – Irgend wie – Ich weiß nicht recht....«
    Man richtete sich ein und war für Stunden beschäftigt. So war man ziemlich müde, als man ins Bett ging.
    Doch trotz der großen Müdigkeit schliefen sie nicht so schnell ein, als sie vorhatten. ›Es ist die ungewohnte Stille nach dem Stadtlärm‹, dachten sie.
    Verschiedene Geräusche wurden hörbar. Aus der Kammer unter dem Dach kam zuweilen ein asthmatisches Schnaufen und das Krachen desBettgestells, in dem Madleen sich umdrehte. Aus dem Keller drang das Ticken der abtropfenden Pumpe. Diese Laute standen seltsam vergrößert in einer unnatürlichen Schwärze, in die kein Stern blinkte.
    Aber der Wind war geschäftig und bewegte die Blätter, deren Geräusch die Verwandtschaft mit dem Lebendigen wieder zu besiegeln schien.

Der Hügel
    Sie erwachten beide fast gleichzeitig, ungewohnt früh. Eine Schwarzwälder Uhr, die der Vermittler während der gestrigen Inspektion aufgezogen, rief ihr eiliges, etwas heiseres »Kuckuck« herauf. Gleichzeitig schwammen von draußen Wellen von Hahnengeschrei herein, ungleichmäßig durcheinanderwogend, so daß die einzelnen spitzen Trompetenstöße nur als verworrene Masse zur Geltung kamen. Eine Unmenge Hähne schien in wütenden Wetteifer verfallen. Vollkommen wagrechtes, hellgoldenes Licht stahl sich ins Zimmer. Doch die übliche Morgenbegrüßung der Singvögel, wie man sie wenigstens vereinzelt an den Hügeln des Hudson zu hören bekommt, blieb vollkommen aus. Die ganze Gegend schien von Hähnen gepachtet.
    Die Treppenstufen erzitterten jetzt, als werde ein schwerer Sack mühsam hinuntergestoßen. Das war Madleen, die zur Arbeit ging. Seltsamerweisehörte man kein Geräusch von Küchengeräten, kein Poltern oder Klirren, sondern nur die dumpfen Erschütterungen des Hauses, die ihre Schritte begleiteten. Wieder wunderten sie sich über die fast groteske Lautlosigkeit der schweren Person. Das Frühstück stand bereit, als sie herunterkamen. Alles blitzte morgenfrisch und heiter. Nachdem die »Times« genossen war, die Erwin sich aus dem Postkasten an der Straße geholt, erinnerten sie sich ihrer Absicht, eine Entdeckerfahrt zu machen. Sie wurden diesmal verschont von jenen flüchtigen Bedrückungsgefühlen, mit denen sie am vorigen Tag zu kämpfen gehabt.
    Der Fichtenwald, der das Haus umgab, öffnete sich in einer längeren Einfahrt, die von großblättrigen Ahornen und drei oder vier verschiedenen Eichensorten gesäumt war. Ungefähr hundert Schritte brachten sie auf die Straße, die gelb durch die Bäume schimmerte. Auf der gegenüberliegenden Seite lagen einige schmuck gebaute, etwas verwahrloste Holzhäuser von villenartigem Charakter mit breiten Veranden, auf denen jetzt schon in dieser frühen Morgenstunde – es war kurz nach sieben – verschiedentliches Leben sich rührte. Verwaschene Blusen bewegten sich rhythmisch hinter dunkleren Holzgittern: die Damen der Spruce-Street waren bereits wach. Sie waren nicht nur wach, sondern sie schienen sich auch schon von etwa getaner Arbeit auf Schaukelstühlen auszuruhen. Hinter einem Hause näher der Überlandstraße zu schoß mit eilfertigem Geknatter einFord-Wagen heraus und verschwand in einer durchsichtigen Staubwolke. Der Geschäftsbetrieb des nahen Ortes streckte einen einzelnen Fangarm also auch hierher aus.
    Sie waren einen Moment unentschlossen, dann machten sie sich auf, um in entgegengesetzter Richtung die Landschaft zu erforschen, die hinter der nächsten leichten Kurve der Spruce-Street sichtbar zu werden versprach. Erwartungsvoll schritten sie darauf zu. Nach fünf Minuten erkannten sie, daß es sich um keine Kurve handelte, sondern nur um eine kleine Schlingung der sonst schnurgeraden Straße. Und die Landschaft?– – –
    Wie ein gelber Pfeil bohrte sich diese schlichte Straße vor ihnen durch den Wald. Den Seiten entlang rann eine gleichmäßig ermüdende Wand von Fichtenstämmen, und es war kein Wechsel in diesen Stämmen. Sie waren alle jung, und einer sah aus wie der andere. Da war kein knorriger Ast, der drohend herübergewuchtet hätte; keine Wurzel, die von Kraftdrang entstellt und sich bäumend, in den Weg
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