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Der neue Daniel

Titel: Der neue Daniel
Autoren: Willy Seidel
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plump ins Gesicht: – es war ein Friedhof.
    Grob gehauene Kreuze traten hervor, poliert, aus Rosengranit oder Marmor. Die Gräberwaren wie nach der Schnur gerichtet, quadratisch zerteilt von sandigen Wegen. Eine einzige Trauerweide, ganz auf der Spitze, deutete den hilflosen Versuch zu gärtnerischem Schmuck an.
    Mildreds Gesicht bekam etwas Maskenhaftes.
    »Mir schwante so etwas«, sprach sie leise, als sie sich unter der Weide niederließen. »Es mußte so kommen, Erwin, es ist grausig. Soll dieser Friedhof und diese Hühner nun unsere Welt sein? Mir ist, als müßten nun all unsere hübschen Zukunftspläne in diesem sandigen Friedhofs-Stumpfsinn enden...«
    Das nach Aussicht dürstende Auge schweifte umher. Es traf auf Fichten, Millionen von jungen Fichten; auf einen Horizont von Fichten. Der Hügel nahm sich aus wie das Krähennest eines Schiffes in uferloser See. Die Fichten hatten etwas Einkerkerndes, in ihrer Masse grausam Bedrohendes. Das ganze Becken des südlichen New Jersey lag in flammendem Dunst vor ihnen, in fahlgrüner Monotonie unter einem bleiern blauen Himmel, der farblos mit dem farblosen Horizont verschmolz. Dort blitzte zuweilen ein kleiner, weißer, wandernder Funke auf: das war das Meer, in das dieser Strom von halbtoter Vegetation hineinmündete. Das Einzige, was die schnurgerade, von spitzen Wipfeln zerstochene Linie unterbrach, war ein enormer Fabrikschornstein, dessen schwarzer Qualmfaden senkrecht im Himmel hing. Sonst schien es, als habe eine ungeheure, erbarmungslose Handflächealles Leben aus der Natur herausgepreßt; als habe eine Walze alles niedergequetscht, so daß nur ein dürftiges Gemengsel saftlos-struppiger Reiser zurückblieb, über dem nicht einmal Vögel ihre Kreise zogen. Hier unter den Emblemen des Todes hauchte ein weiterer Tod sie an, ein größerer, zeitloserer, zwischen dessen zerbröckelnden Kiefern sie sich sitzen sahen voll dumpfen Erschreckens. Zuweilen strich eine Brise über das Wipfelmeer. Sie merkten es daran, daß dunkle Fächer darauf zerliefen. Sonst war nichts hörbar als Hahnengeschrei, eine Fabriksirene, traumhafter Takt eines Zuges, eine fern aufgellende Hupe von unsichtbarer Straße her und das gewaltige Sieden und Summen der Insekten.
    Mildred stand plötzlich auf und rannte den Hügel wieder hinunter. »Es ist zu scheußlich hier«, rief sie zurück. »Ich bekomme Zwangsideen, wenn ich hier länger sitzen bleibe.«
    Sie gewannen die Straße wieder, seltsam ermattet vom Ausflug. Erwin meinte begütigend:
    »Vielleicht finden wir die Landschaft doch auf der anderen Seite...«
    Doch sie hatte den Ausdruck sinnender Resignation und war ziemlich wortkarg, bis sie das Haus wieder erreichten.
    Schon von weitem bemerkten sie eine dunkle Masse auf der Veranda, die sich als Madleen entpuppte. Wie ein Hund, der lange gewartet hat, eilfertig-wedelnde Zeichen von Freude gibt, gerietsie in ganz unverhältnismäßiges Entzücken, als sie ihrer Herrschaft ansichtig wurde. Hierauf zog sie sich mit der kryptischen Bemerkung: » It´s right in de woods allright ... « zurück, um die durch Angst unterbrochene Betätigung wieder aufzunehmen. Erwin bemerkte jedoch noch, daß ihre bestürzten Augen schnell nach rechts herüberrollten, wo ein zweites Haus stand, halb zwischen den Stämmen versteckt (eine unauffällige Bretterbude, die einem Stall glich). Wohnten da auch menschliche Wesen? Die elegantesten von ihren Nachbarn waren es auf keinen Fall. Noch kurz machte er sich Gedanken über die Bestürzung, die er auf dem Gesicht der Negerin gelesen hatte...

Die Straße der Verstörten
    Eine erste Anknüpfung ergab sich mit der Nachbarschaft, als die elektrische Pumpe, die bis dahin wie ein Uhrwerk gearbeitet, plötzlich ohne ersichtlichen Grund versagte.
    Erwin machte sich auf, da er kein Elektrotechniker war, um Hilfe zu holen.
    Als er die Straße in der dem Hügel entgegengesetzten Richtung zwischen den Häusern hinunterschritt, konnte er bemerken, daß wiederum jede Veranda zwei oder drei Insassen hatte, die ihm nachblickten, ohne einen Laut von sich zu geben. Es schienen durchwegs ältere Leute zu sein, und die Damen (wenn man sie so nennen wollte),hatten den scharfen Ausdruck, den spät und widerwillig bestattete Hoffnungen verleihen. Es waren zweifellos auch Familienmütter darunter, was er daraus schloß, daß ihm zuweilen barfüßige Kinder begegneten, nackt unter weißen Hängekleidern, die ihr schnatterndes Gespräch jäh unterbrachen, wenn sie seiner ansichtig
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