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Der Nebelkönig (German Edition)

Der Nebelkönig (German Edition)

Titel: Der Nebelkönig (German Edition)
Autoren: Susanne Gerdom
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dich.«
    »Albernes Schauspiel?«,
brüllte der Kammerherr. »Ich biete dir ein ›albernes Schauspiel‹, an das du
noch denken wirst!«
    Er packte den Stein des
violetten Spielers, der vergebens danach zu greifen suchte, und steckte ihn zwischen
die Zähne. Mit einem Fluch zerbiss er den Kiesel in Splitter, und der lockenköpfige
junge Mann sackte ohne einen Laut leblos zusammen und rutschte unter den Tisch.
Sallie schrie. Der Kammerherr sah sie an und lächelte böse, bevor er einen
Handkuss andeutete. Sallie schloss die Augen.
    »Ach, was für ein dummes,
durch und durch kindisches Getue«, sagte der schwarze Ben heftig. Er stieß
seinen Stuhl zurück und kam auf Sallie zu. Sein Gesicht war finster und bleich,
seine Lippen waren angewidert verzogen und seine schwarzen Augen glühten. Der
Albtraum aus Blut und Gestank nach verbranntem Fleisch, in den sich der feine
Salon verwandelt hatte, schien in dem kleinen Mann, der auf sie zuhinkte,
seinen Höhepunkt zu finden.
    Sallie hob die Hände, um ihn abzuwehren. Seine
Annäherung drückte sie gegen die Wand wie ein kalter, starker Luftstrom. Sie
kämpfte mit aller Macht dagegen an, versuchte an ihm vorbei zur Tür zu
gelangen, zu fliehen. Dann war es vorbei. Seine Hand berührte ihre Stirn, ein
dunkler Blitz versengte ihre Augen und brannte sich in ihr Bewusstsein. Löschte
es. Aus.

 
     
     
     
     
    3
     
     
    Es waren nur noch zwei der
anderen Betten im Saal belegt, als sie erwachte. Das Licht, das träge und trüb
durchs Fenster kroch, deutete den frühen Nachmittag an.
    Sallie setzte sich auf und
rieb sich fröstelnd über die nackten Arme. Warum hatte sie in ihrer Unterwäsche
geschlafen?
    Vom Bett in der Ecke dröhnte
ein Schnarchen, das die Fensterscheiben erzittern ließ. Sallie schwang die
Beine aus dem Bett und krümmte die Zehen auf dem kalten Fliesenboden, ehe sie
ihre Pantinen fand. Auf dem Hocker neben der Bettstelle lagen Kleider, die
nicht ihre waren. Sie starrte sie einen Moment lang benommen an. Ihr Kopf
füllte sich tröpfelnd mit Bildern, die aus einem schlechten Traum zu stammen
schienen.
    Sallie schlug die Hände vor
den Mund, um einen lauten Schluchzer zu unterdrücken. Dann schlüpfte sie in die
ungewohnten Kleider, schloss sie mit fliegenden Fingern und lief zur Tür.
    Der Aufseher kippelte auf
seinem Stuhl und sah sie fragend an, während er nachlässig einen Haken auf einer
Liste machte. »Ja?«
    »Bitte«, stammelte Sallie,
»wie bin ich – wer hat mich heute Nacht hierhergebracht?«
    Der Aufseher verzog kurz das
Gesicht. Sallie wusste nicht, ob er ein Lachen unterdrückte oder eine
missbilligende Grimasse. »Wer dich hergebracht hat?«, fragte er. Sallie nickte
verlegen.
    Der Mann blickte auf seine
Liste. »Keine Ahnung«, sagte er. »Ich bin erst seit einer Stunde hier. Frag
heute Abend meine Ablösung, er hatte gestern auch Dienst.«
    Sallie murmelte einen Dank und
floh den Gang hinunter.
    In der Küche herrschte die
Ruhe vor dem nächsten Sturm. Töpfe klapperten, Wasser rauschte, die hellen
Stimmen der Küchenhilfen und Spüljungen dominierten den riesigen Raum, der
sonst von den gebrüllten Befehlen und Antworten der Köche widerhallte.
    Sie drückte sich durch die
Gänge und suchte nach jemandem, dem sie ihre Verspätung erklären konnte. Ihrer
Schätzung nach hatte sie einen ganzen Dienst verpasst, was eine strenge
Bestrafung fürchten ließ.
    Inmitten all der emsigen
Küchenhilfen, die aufräumten, putzten, wuschen und Abfälle forttrugen, saß der
Koch Endrit auf einem Hocker und schnitt gemächlich Schnitze von einem Apfel
herunter, die er sich mit der Messerklinge in den Mund schob.
    Er sah Sallie und hob die Hand
mit dem Apfel. »Hallo, Kleine«, sagte er. »Alles überstanden? War es noch
schlimm?«
    In seine freundlichen braunen
Augen blickend schauderte Sallie unwillkürlich, weil eine Gänsehaut über ihre
Arme kroch. »Ja«, antwortete sie.
    Endrit schnalzte mit der
Zunge. »Ruh dich aus«, sagte er. »Du hast frei. Alle Mädchen, die Tischdienst
beim Kammerherrn hatten, haben den Tag danach frei.« Sein Blick war mitfühlend,
und Sallie spürte einen Kloß im Hals.
    »Danke«, erwiderte sie
erstickt. »Ich muss nur – meine Kleider«, sie zupfte an dem schwarzen Rock, der
nach Weindunst und Rauch und noch etwas anderem, eklig Süßlichen roch, das ihr
Übelkeit bereitete.
    Dann huschte sie an dem Koch
vorbei in die Besteckkammer, wo ihre Sachen ordentlich gefaltet auf einer Truhe
lagen. Sie zog sich hastig aus und
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