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Der Nebelkönig (German Edition)

Der Nebelkönig (German Edition)

Titel: Der Nebelkönig (German Edition)
Autoren: Susanne Gerdom
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Kammerherr
bleckte die Zähne und griff danach. Er schloss die Faust, ein unangenehmes Knirschen
erklang, und dann fiel der gelbe Spieler stumm vornüber auf den Tisch. Seine
Stirn prallte mit einem ebenso hässlichen Knirschen auf, und die Gläser
klirrten leise.
    »Mädchen«, riss die Stimme des
Kammerherrn Sallie aus ihrem erstaunten Starren. »Schlaf nicht, füll unsere
Gläser nach!« Er sammelte die Karten ein und begann zu mischen, während die anderen
Herren sich murmelnd unterhielten oder schweigend in die Gegend blickten.
    Sallie lief um den Tisch und
füllte die Gläser auf. Neben dem gelben Spieler, der immer noch reglos mit dem
Gesicht auf dem Tisch lag, verharrte ihr Schritt. Dann zwang sie sich, weiter
zum nächsten Spieler zu gehen und sein Glas zu füllen. Ihre Hand bebte leicht
und ein paar Tropfen des starken Obstbrands sprühten auf die Tischplatte. Der
Mann wischte sie unachtsam mit dem Ärmel weg und hob sein Glas an den Mund.
    Endlich hatte Sallie ihre
Runde beendet und konnte sich zur Tür zurückziehen. Zitternd lehnte sie sich
gegen die Wand und schloss die Augen. Da war Blut auf dem Tisch, es sammelte
sich unter dem Kopf des Mannes und tröpfelte auf den kostbaren Teppich hinunter.
Der Mann lag schwer verletzt oder tot – hatte sie ihn überhaupt atmen sehen? –
auf dem Tisch und keiner der anderen störte sich auch nur einen Deut daran.
    Sie klammerte die Hände
ineinander, um ihr Zittern zu bändigen. Wieso war der Mann überhaupt
umgefallen? Hatte man ihn vergiftet – aber warum und womit? Und wieso kümmerte
sich niemand um ihn? Sollte nicht irgendjemand den Apotheker rufen? Sollte sie
jetzt laufen und den Apotheker aus seiner Nachtruhe holen?
    »Bring die Flasche, Kind«,
ertönte die Stimme des Kammerherrn. »Du bist unachtsam. Schlaf nicht!« Sie
eilte zu ihm und ertrug es, dass seine Finger sie schmerzhaft in den Po
zwickten. Die Männer am Tisch schwiegen, rauchten, tranken, blickten auf ihre
Karten oder spielten nervös mit ihren Kieselsteinen. Sallie sah, dass einer der
Steine, der braune, neben dem roten des Kammerherrn vor ihm auf dem Tisch lag.
    Der ältere Mann, dem der Stein
gehörte, wischte sich gerade mit einem großen Schnupftuch über den
kahlenSchädel. Seine Augen fixierten starr den Kammerherrn.
    Der schwarze Spieler, Ben,
hatte das Kinn in die Hand gestützt und beobachtete ebenfalls sein Gegenüber.
Als Sallie auf seine Seite des Tisches kam, sah sie, dass auch er zwei Steine
vor sich liegen hatte: den violetten des lockenköpfigen Spielers und seinen
eigenen. Sein Gesicht zeigte leisen Widerwillen, als röche er etwas Unangenehmes.
    »Gut, gut«, dröhnte der Kammerherr,
anscheinend bester Laune, und rieb sich die Hände. »Dann wollen wir doch mal
sehen, wer von uns den treueren Vasallen hat, mein Alter.«
    Er hob den braunen Stein auf.
Der Spieler, dem der Kiesel gehörte, erhob sich, als wolle er fliehen, blieb
aber am Tisch stehen.
    Der Kammerherr lächelte und
hielt den Stein auf der offenen Handfläche. Er hauchte leicht darüber. Der
Stein glühte auf und brannte mit einer klaren blauen Flamme. Sallie, die immer
noch neben dem Stuhl des braunen Spielers stand, sah, wie dessen Hände sich um
die Tischkante krallten. Er ächzte leise.
    »Nun?«, sagte der Kammerherr.
    Der schwarze Ben regte sich.
Seine zusammengekniffenen Lippen drückten Missbilligung aus. Er hob den
violetten Kiesel auf und warf einen Seitenblick auf den lockenköpfigen Spieler,
der ihm aufmunternd zunickte.
    »Also bitte«, knurrte der
schwarze Spieler. Er hielt den Stein in der locker geballten Faust und pochte damit
sanft auf den Tisch.
    Von der Handfläche des
Kammerherrn zuckte eine Stichflamme zur Decke und schwärzte den Plafond. Er
fluchte, ließ den Kiesel fallen und schüttelte die Hand.
    Der braune Spieler schrie kurz
und schrill auf und krachte in seinen Sitz. Sein Kopf fiel über die Lehne und
grinste Sallie mit gefletschten Zähnen und hervorquellenden Augen an.
    Sallie, die schon bei der
Flammenerscheinung erschreckt zurückgewichen war, ließ die Flasche fallen. Der
Schnaps gluckerte zu ihren Füßen in den Teppich.
    »Pass doch auf, du Trampel!«,
kreischte der Kammerherr. Er hörte auf, in seine versengte Handfläche zu
pusten, und drohte ihr mit der Faust.
    »Krikor«, murmelte der
schwarze Ben, der sich zurückgelehnt hatte und seine Fingernägel inspizierte.
»Willst du dem Kind das alberne Schauspiel hier nicht ersparen? Schick es doch
hinaus, ich bitte
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