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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose
Autoren: Umberto Eco
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überraschte mich seine hohe Bildung. Er aber sagte lächelnd, die Franziskaner seiner Inselheimat seien von anderem Schlage:
    »Roger Bacon, den ich als meinen Meister verehre, hat uns gelehrt, daß der göttliche Plan sich eines Tages durch die Wissenschaft der Maschinen verwirklichen wird, die eine magia naturalis et sancta ist. Und kraft der Natur wird man eines Tages Navigationsinstrumente bauen, dank welcher die Schiffe unico homine regente übers Meer fahren können, und sogar wesentlich schneller als jene, die angetrieben werden von Segeln oder von Rudern. Und es wird Wagen geben › ut sine animali moveantur cum impetu inaestimabili, et instrumenta volandi et homo sedens in medio instrumenti revolvens aliquod ingenium per quod alae artificialiter compositae aerem verberent, ad modum avis volantis ‹. Und winzige Instrumente, die ungeheure Gewichte heben, und Fahrzeuge, mit denen man auf dem Grunde des Meeres fahren kann.«
    Auf meine Frage, wo diese Maschinen denn seien, antwortete er, einige habe man schon in alten Zeiten gebaut und andere auch in den unseren, »ausgenommen die Instrumente zum Fliegen, die ich nicht gesehen habe, und ich kenne auch keinen, der sie gesehen hätte, aber ich kenne einen Gelehrten, der sie gedacht hat.
    Man kann auch Brücken bauen, die sich ohne Säulen oder andere Stützen über die Flüsse spannen, und andere unerhörte Maschinen. Aber sei nicht bekümmert, wenn sie noch nicht existieren, denn das heißt nicht, daß sie nie existieren werden. Ich sage dir, Gott will, daß sie existieren, und gewiß existieren sie längst schon in seinem Geist, auch wenn mein Freund William von Ockham solch eine Existenzweise der Ideen bestreitet, und nicht weil wir über die göttliche Natur entscheiden könnten, sondern gerade weil wir ihr keinerlei Grenze zu setzen vermögen.« Das war nicht der einzige widersprüchliche Satz, den ich aus seinem Munde vernahm; doch selbst heute, da ich nun alt geworden und klüger als damals bin, habe ich immer noch nicht ganz verstanden, wie er so großes Vertrauen in seinen Freund von Ockham setzen und zugleich immerfort auf die Worte Bacons schwören konnte. Wahrlich, es waren finstere Zeiten, in denen ein kluger Mann sich genötigt sah, Dinge zu denken, die zueinander im Widerspruch standen!
    Wohlan, ich habe von Bruder William gesprochen und manches berichtet, was vielleicht noch keinen rechten Sinn ergibt, doch ich wollte gleichsam mit dem Anfang beginnen und zunächst die
    unzusammenhängenden Eindrücke wiedergeben, die ich damals von ihm gewann. Wer er war und was er bewirkte, wirst du, lieber Leser, wohl besser an seinen Taten erkennen, die er während unseres Aufenthaltes in der Abtei vollbrachte. Auch habe ich dir kein vollständiges Bild versprochen, sondern eher (das allerdings wirklich) einen Tatsachenbericht über eine Reihe von denkwürdigen und schrecklichen Ereignissen.
    Während ich so meinen Lehrmeister jeden Tag besser kennenlernte in langen Stunden gemeinsamer Wanderschaft voller nicht enden wollender Gespräche, die ich von Fall zu Fall wiedergeben werde, wenn es 14
    Der Name der Rose – Prolog
    mir geboten scheint, erreichten wir schließlich den Fuß des Berges, auf welchem sich die besagte Abtei erhob. Und so wird es nun Zeit, daß auch mein Bericht sich ihr nähert, wie damals wir Wandersleute es taten
    – und gebe Gott, daß meine Hand nicht zittert, wenn ich nun niederzuschreiben beginne, was dann geschah.
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    Der Name der Rose – Prolog
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    Erster Tag
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    Der Name der Rose – Erster Tag
    ERSTER TAG
    PRIMA
    Worin man zu der Abtei gelangt und Bruder William großen Scharfsinn beweist.
    Es war ein klarer spätherbstlicher Morgen gegen Ende November. In der Nacht hatte es ein wenig geschneit, und so bedeckte ein frischer weißer Schleier, kaum mehr als zwei Finger hoch, den Boden. Noch bei Dunkelheit, gleich nach Laudes, hatten wir talabwärts in einem Dorf die Messe gehört. Dann waren wir aufgebrochen, um beim ersten Tageslicht in die Berge zu gehen.
    Als wir den steilen Pfad erklommen, der sich die Hänge hinaufwand, sah ich zum erstenmal die Abtei.
    Nicht ihre Mauern überraschten mich, sie glichen den anderen, die ich allerorten in der christlichen Welt gesehen, sondern die Massigkeit dessen, was sich später als das Aedificium herausstellen sollte. Es war ein achteckiger Bau, der aus der Ferne zunächst wie ein Viereck aussah (die höchstvollendete Form, Ausdruck der Beständigkeit und Uneinnehmbarkeit der Stadt
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