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Der Nächste, bitte! 13 Morde fürs Wartezimmer

Der Nächste, bitte! 13 Morde fürs Wartezimmer

Titel: Der Nächste, bitte! 13 Morde fürs Wartezimmer
Autoren: Ilse Wenner-Goergen
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der die Kleine noch vor wenigen Sekunden gewesen war. „Komm‘, wir wollen weg hier, mein kleiner Trotzkopf.“
    „Der Papa sagt, er kann fliegen!“
    „Ja. Und das wollen wir jetzt ganz schnell der Polizei erzählen.“
     
    Lena wählte ihre Worte jetzt sehr genau: „Ich habe es nicht zugelassen. Ich habe nicht zugelassen, dass er sie mitnimmt.“ Sie biss auf sich auf ihre Unterlippe, zögerte. „Dann muss er wohl gesprungen sein.“ Sie schüttelte den Kopf, ihre Augen starrten ins Leere. „Oder abgerutscht. Ich weiß es nicht. Ich… ich habe nach meinem Kind gesehen. Das war alles, was in dem Moment zählte.“
    „Sie haben also nicht gesehen, ob er gesprungen ist?“
    „Nein. Ich wollte nur weg dort! So schnell wie möglich mit Annemarie in Sicherheit. Ich habe sie an mich gerissen und fortgezerrt. Verstehen Sie?“ Jeder hier verstand.
    „Ich habe mich nicht mehr nach ihm umgedreht.“ Zum ersten Mal während des Gesprächs blickte sie auf. „Darf ich jetzt bitte zu meinem Kind?“

„Der Nächste, bitte!“
    Der Aufruf galt ihr nicht. Konnte ihr nicht gelten. Ihr Blick ruhte lange schon auf der verschlossenen Tür des Operationssaales. Sie konnte nichts tun, als warten. Und das tat sie schon eine ganze Weile…

Manuela und Ben
    Notoperation. Das klang nach großer Gefahr, beinahe aussichtslos. Der Geruch, der hier zwischen die Wände gekrochen war, löste unwillkürliche Beklemmung aus. Es roch nach Angst und nach Tod. Sie war nervös. Sein Verlust würde bedeuten, von nun an ganz alleine auf dieser Welt zu sein. Als Kind aus einer zerrütteten Familie war er ihr einziger Halt. Halt. Trost. Und Geborgenheit. In all den Jahren, in denen er sie begleitet hatte, war er immer für sie da gewesen. Bedingungslos. Selbstverständlich. Nie hatte sie darüber nachgedacht, dass es einmal anders sein würde. Und nun hing sein Leben an einem seidenen Faden. Wie ein Film lief diese verfluchte Szene wieder und wieder vor ihr ab. Sekundenbruchteile, die alles veränderten. Nur einen Augenblick zuvor hatten sie noch herumgealbert. Wie In Zeitlupe sah sie sich selbst dabei zu, wie sie versuchte, nach ihm zu greifen, irgendetwas von seinem Körper zu erwischen, als das Auto ihn erfasst hatte und hoch schleuderte. Fassungslos drehte sie den Kopf zum Fahrer, begegnete einem kurzen Moment seinem Blick, ehe er rasch den Rückwärtsgang einlegte und in entgegengesetzter Richtung davonfuhr. Sie begriff, wen sie da vor sich gehabt hatte. Diese Augen würde sie nie vergessen. Dass sie das Kennzeichen des Fahrzeugs wie ein Foto in ihrem Gedächtnis abgespeichert hatte, wurde ihr erst jetzt bewusst. Klick. Klick. Die Kamera drehte weiter, zeigte wie sie den Kopf wieder umwand. „Ne-ein!“, während er immer noch durch die Luft flog. Hörte den dumpfen Klang, als sein Schädel auf dem Asphalt aufschlug. „Nein!“ Sie sah sich hinrennen, sich über ihn beugen, an ihm rütteln. Vergebens. Blut gab es kaum, doch er rührte sich nicht mehr.
    Und nun saß sie hier und wartete. Im Flur einer sterilen Klinik. Auf einem herunter klappbaren Stuhl aus Hartplastik.
    Notoperation. Vielleicht doch auch ein Funke Hoffnung?
    „Soll ich Ihnen jemanden rufen, der Sie nach Hause bringt?“ Sie starrte der Person, zu der die Stimme gehörte, nur stumm entgegen. „Das kann noch dauern da drin“, sagte die daraufhin. Langsam schüttelte sie den Kopf. „Auf keinen Fall. Ich bleibe.“ „Sie können im Moment nichts tun...“
    „Ich will hier sein, wenn er erwacht.“ Wenn er erwacht. Die eigenen Worte hallten in ihren Ohren wider. Wenn er erwacht. Die Doppeldeutigkeit war ein Schlag ins Gesicht. Und wenn nicht?
    „Soll ich Ihnen denn ein Glas Wasser holen?“ Wieder schüttelte sie den Kopf. Am liebsten hätte sie „Hauen Sie ab!“ geschrien. „Lassen Sie mich einfach in Ruhe!“ In Ruhe mit ihrer Angst. Angst um die einzige Kreatur auf dieser Welt, der sie vertraute. Angst, die ihr die Brust zuschnürte.
    Nur wenige Meter trennten sie von ihm. „OP. Kein Zutritt.“ Die Aufschrift auf der fest verschlossenen Tür klang nüchtern. Steril und emotionslos. Sachlich. Logisch.
    Da war mehr, als diese Tür. Sie spürte die große Distanz. Spürte auch, dass Leben oder Tod bereits entschieden waren.
    Dennoch harrte sie aus. Harrte aus, bis sich lange Zeit später eben diese Tür öffnete. Erstaunt und scheinbar irritiert blickte ihr der Arzt entgegen. „Ich wusste gar nicht, dass Sie noch hier sind.“
    Wie konnte er annehmen, sie sei
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