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Der Musentempel

Der Musentempel

Titel: Der Musentempel
Autoren: John Maddox Roberts
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Ziegenfellen bekleidet, die Haare gelöst und zum Schlag der Tamburine wild umherwirbelnd. Andere, weniger schwachsinnige Beter trugen weiße Gazegewänder und spielten Harfen, Flöten und unsichtbare Sistra. Ich beobachtete das Schauspiel mit Interesse, denn ich hatte damals den hellenistischen Teil der Welt noch nie bereist, und in Rom waren dionysische Feiern schon lange verboten.
    »Die wieder«, bemerkte Rufus angewidert. »In Rom würde man sie aus der Stadt vertreiben«, sagte ein Sekretär der Botschaft.
    »Sind das Maenaden?« fragte ich. »Es ist doch gar nicht die Jahreszeit für ihre Rituale.« Ich bemerkte, daß einige junge Männer bedrohlich mit Schlangen herumfuchtelten, unter ihnen einige kahlgeschorene Knaben, die den Eindruck machten, als hätte man sie gerade heftig auf die Schädelbasis geschlagen.
    »Nichts derart Ehrwürdiges«, sagte Rufus. »Dies sind die Anhänger von Ataxas.«
    »Ist das eine lokale Gottheit?« erkundigte ich mich. »Nein, er ist ein Heiliger aus Asia Minor. Die Stadt ist voll von Männern seiner Art. Er hält sich schon ein paar Jahre in Alexandria auf und hat eine große Schar von Anhängern. Er wirkt Wunder, sagt die Zukunft voraus, bringt Statuen zum Sprechen und dergleichen. Das ist ein weiterer Charakterzug, den du an den Ägyptern feststellen wirst, Decius: Sie haben keinen Sinn für Anstand, wenn es um Religion geht. Keine Dignitas, keine Gravitas; anständige römische Rituale und Opfer üben keinerlei Anziehungskraft auf sie aus. Sie mögen mehr die Art, wo die Betenden ganz engagiert und emotional bei der Sache sind.«
    »Widerlich«, schnaubte der Sekretär.
    »Sie sehen aus, als ob sie sich amüsieren«, sagte ich.
    Mittlerweile überquerte eine große Sänfte die Straße, noch höher als unsere und getragen von weiteren fanatischen Gläubigen, die nicht viel zu ihrer Stabilität beitragen konnten. Auf der Sänfte stand ein Thron, auf dem ein Mann saß, der eine extravagante purpurne, mit goldenen Sternen übersäte Robe und einen hohen Hut mit einem silbernen Halbmond auf der Spitze trug. Um einen seiner Arme war eine riesige Schlange gewickelt, in der anderen Hand hielt er eine Peitsche von der Art, wie man sie benutzt, um aufsässige Sklaven zu bändigen. Ich konnte erkennen, daß er einen schwarzen Bart, eine lange Nase und dunkle Augen hatte, aber sonst sah man nicht viel. Er blickte erhobenen Hauptes nach vorn, als würde er das schwirrende Spektakel, das zu seinem Wohlgefallen auf der Straße inszeniert wurde, gar nicht bemerken.
    »Der große Mann höchstpersönlich«, meinte Rufus verächtlich. »Das ist Ataxas?« fragte ich.
    »Eben jener.«
    »Ich frage mich«, sagte ich, »warum eine Prozession hoher Regierungsbeamter einem Pöbel Platz macht, den man in Rom mit molossischen Hunden aus der Stadt jagen würde.«
    Rufus zuckte die Schultern. »Das ist eben Alexandria. Unter der dünnen Schicht griechischer Kultur sind diese Menschen nach wie vor so priesternärrisch und abergläubisch, als ob sie noch immer unter den Pharaonen leben würden.«
    »In Rom herrscht auch nicht gerade Mangel an religiösen Scharlatanen«, betonte ich.
    »Schon nach kurzer Zeit am Hof wirst du den Unterschied erkennen«, prophezeite mir Rufus.
    Als die wüste Prozession vorüber gezogen war, setzten wir unseren würdevollen Marsch fort. Ich erfuhr, daß wir uns auf der Via Kanopos befanden, der Haupt-Ost-West-Verbindung in Alexandria. Wie alle anderen Straßen war sie gerade wie ein Kreidestrich und verlief vom Nekropolis-Tor im Westen bis zum Kanopos-Tor im Osten. In Rom waren Straßen, in denen zwei Menschen aneinander vorbei gehen konnten, ohne sich seitlich abzuwenden, eine Seltenheit. Auf der Kanopos-Straße konnten zwei Sänften wie unsere mit Leichtigkeit passieren, und es blieb auf beiden Seiten immer noch reichlich Platz für Fußgänger.
    Es gab strikte Bestimmungen, wie weit die Balkone in die Straßen ragen durften, und Wäscheleinen quer über die Straße waren verboten. Das ist in gewisser Weise ein erfrischender Anblick. Aber wenn man in Rom aufgewachsen ist, entwickelt man eine Vorliebe für das Chaos, und nach einer Weile empfand ich all die Regelmäßigkeit und Ordnung als bedrückend. Mir ist klar, daß es einem zunächst wie eine gute Idee vorkommen muß, eine Stadt zu planen, wo nie zuvor eine Stadt gestanden hat, und dann dafür zu sorgen, daß sie nicht an den Krankheiten leidet wie andere Städte oder Rom, die einfach wachsen und wuchern.
    Aber ich
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