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Der Musentempel

Der Musentempel

Titel: Der Musentempel
Autoren: John Maddox Roberts
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sich um. »Um mit dem Bedeutendsten anzufangen, dort«, er wies mit dem Kopf auf einen großen Mann mit ausgeprägten Gesichtszügen, »ist der berühmte Amphitryon, der Bibliothekar. Er ist verantwortlich für alles, was mit der Bibliothek und dem Museion zu tun hat.«
    »Das ist ein Anfang«, sagte ich. »Wer sonst noch?«
    Er wies auf einen untersetzten Mann mit wirrem Haar, der um sich stierte wie ein Ringer, der seine Gegner herausfordernd mustert. »Das ist Iphikrates von Chios, der Mathematiker, der Star der archimedischen Schule.«
    »Oh, gut. Den will sie kennen lernen.«
    »Dann wird ihr weiblicher Charme vielleicht obsiegen, wo so viele andere gescheitert sind. Er ist ein äußerst jähzorniger Mann. Laß mich schauen...« Er entschied sich für einen weiteren angestaubten Griechen. »Dort stehen Doson, der Skeptiker, und Sosigenes, der Astronom, und...« Ich versuchte, mir so viele Namen wie möglich zu merken, um Wissen vortäuschen zu können. Sobald sich die Gelegenheit ergab, trat ich auf Julia zu und stellte ihr Asklepiodes vor. Sie war höflich, aber kühl. Wie viele gebildete Menschen interessierte sie sich für Medizin nur am Rande, weil jene sich mit dem wirklichen Leben auseinandersetzte.
    »Würdest du gerne einige der großen Gelehrten kennen lernen?« fragte ich sie.
    »Nur zu«, sagte sie mit ihrem unerträglich überlegenen Lächeln. Ich begleitete sie zu dem wüst aussehenden Mathematiker. »Julia, das ist der berühmte Iphikrates von Chios, der herausragendste Vertreter der archimedischen Schule.«
    Er strahlte übers ganze Gesicht, während er ihre Hand nahm und sie küßte. »Ich bin überaus entzückt, meine Dame.« Dann drehte er sich um und starrte mich wütend an, eine Miene, die durch seine jupiterartig hervorstehende Stirn sehr überzeugend wirkte. »Glaube nicht, daß wir uns kennen.«
    »Vielleicht ist es dir entfallen bei all dem tiefen Nachdenken.
    Ich habe an deiner Vorlesung über die Belagerung von Syracus teilgenommen.« Das war blind aus der Luft gegriffen, weil ich wußte, daß Archimedes eine Gerätschaft zur Verteidigung der Stadt konstruiert hatte, aber offenbar hatte ich ins Schwarze getroffen.
    »Oh.« Er schaute verwirrt drein. »Vielleicht hast du recht. Zu dieser Vorlesung sind sehr viele Hörer gekommen.«
    »Und ich habe deine Arbeit Über die praktischen Anwendengen der Geometrie gelesen«, sagte Julia voller Bewunderung. »Ein so anregendes und kontroverses Werk!«
    Er grinste und nickte wie einer der dressierten Paviane. »Ja, ja. Es hat ein paar Leute hier mächtig aufgescheucht, das kann ich dir sagen.« Was für ein unerträglicher Blödmann, dachte ich.
    Und hier stand Julia und himmelte ihn an, als sei er Weltmeister im Wagenrennen oder etwas in der Richtung. Es gelang mir, sie von dem großen Mann weg zu locken und sie zu dem Bibliothekar zu führen. Amphitryon war so höflich wie Iphikrates ungehobelt, und die Begegnung verlief für mich weit angenehmer. Dann schleifte Berenike Julia von dannen, um irgendwelche parfümierten Narren zu treffen, und ich blieb mit dem Bibliothekar allein zurück.
    »Ich habe dich eben mit Asklepiodes sprechen sehen«, bemerkte er. »Kennst du ihn aus Rom?«
    »Ja, ich kenne ihn schon seit Jahren.«
    Amphitryon nickte. »Ein schätzenswerter Mann, aber ein wenig exzentrisch.«
    »Wie das?« fragte ich.
    »Nun...« Er sah sich nach möglichen Lauschern in der Nähe um. »Man sagt, er praktiziere die Chirurgie. Dabei verbietet der Hippokratische Eid das Schneiden mit einem Messer ausdrücklich.«
    »Da sei Apollo vor!« rief ich entsetzt aus.
    »Und«, er sprach jetzt noch leiser, »es gibt Gerüchte, daß er sogar selbst vernäht, etwas, das die niedersten Chirurgen ihren Sklaven überlassen!«
    »Nein!« sagte ich. »Das muß eine von seinen Feinden gestreute, bösartige Verleumdung sein!«
    »Vielleicht hast du recht, aber die Welt ist nicht mehr so, wie sie einmal war. Ich habe beobachtet, daß du Iphikrates getroffen hast.
    Dieser wilde Mann glaubt auch an praktische Anwendungen.«
    Er sprach das Wort aus, als handele es sich um ein Tabu. Um ehrlich zu sein, wußte ich, daß diese Gerüchte über Asklepiodes der Wahrheit entsprachen. Im Laufe der Jahre hatte er bestimmt eine Meile meiner eigenen Haut wieder zusammen geflickt.
    Aber er tat es immer in striktester Diskretion, weil diese Platoverrückten alten Spinner der akademischen Welt meinten, daß es für einen berufsmäßigen Philosophen (und die Ärzte zählten
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