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Der Musentempel

Der Musentempel

Titel: Der Musentempel
Autoren: John Maddox Roberts
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einzig wahren Weg zur Erleuchtung. Ein paar Monate lang jedenfalls. Nur wenige der ägyptischen Adeligen verfügten über die ausdauernde Konzentrationsfähigkeit eines zehnjährigen Kindes.
    Die Gelehrten waren nahezu genauso ermüdend. Vor Ende des Empfangs hatte es Iphikrates von Chios geschafft, sich mit mindestens sechs Gästen zu streiten. Warum irgend jemand sich über solch abstrakte Fragen derart in die Haare kriegen konnte, war mir schleierhaft. Wir Römer haben uns auch immer gern gestritten, aber wenn schon, dann stets um wichtige Dinge wie Besitz und Macht.
    »Unsinn!« hörte ich ihn einmal mit seiner widerwärtig lauten Stimme kreischen. Genau genommen war sein Plauderton in der gesamten Empfangshalle sowie in einigen Nebenräumen gut zu hören. »Diese Geschichte über einen Kran, der römische Schiffe hochgehoben und über die Stadtmauern gehievt haben soll, ist kompletter Blödsinn!« Er hatte einen armenischen Botschafter in die Enge getrieben. »Das würde schon die Masse des Gegengewichts verhindern, und das ganze Ding wäre so langsam, daß jedes Schiff ihm leicht ausweichen könnte!« Er tönte weiter über Gewicht, Masse und Gleichgewicht, was den anderen Gelehrten augenscheinlich sehr peinlich war.
    »Warum läßt man ihn gewähren?« fragte ich Julias jüngste Eroberung, einen Herausgeber der homerischen Werke namens Neleus.
    »Sie haben keine andere Wahl. Er ist der Liebling des Königs.
    Iphikrates entwirft ihm Spielzeuge: eine Lustbarkasse, die mit rotierenden Paddeln statt mit Rudern angetrieben wird, einen beweglichen Thron im Thronzimmer, mit dem sich der König über die Menge erheben kann, und ähnliche Banalitäten. Letztes Jahr hat er ein neues System für die Sonnensegel im Hippodrom entworfen, die sich ausbreiten, je nach Sonnenstand bewegen und wieder zusammen rollen lassen, alles vom Boden aus, ohne daß Matrosen an Seilen hochklettern müssen, um sie zu wenden.«
    »Klingt eigentlich ganz logisch«, sagte ich. »Wenn der König dieses Museum schon finanziert, sollte er zumindest etwas davon haben.«
    »Aber, Decius«, sagte Julia geduldig, »das erniedrigt ihn doch auf den Status eines reinen Mechanikers. Das ist eines Philosophen nicht würdig.«
    Ich schnaubte verächtlich in mein Weinglas. »Wenn es keine reinen Mechaniker gäbe, würdest du dein Wasser immer noch vom Fluß bis nach Hause schleppen, anstatt es dir via Aquädukt aus den Bergen ins Haus kommen zu lassen.«
    »Die römischen Errungenschaften in angewandter Philosophie werden von aller Welt bewundert«, sagte Neleus. Die Griechen mochten die Römer als intellektuell unterlegen verachten, mußten uns jedoch wegen unserer Macht um den Bart gehen.
    »Außerdem dachte ich«, sagte ich zu Julia, »du bewunderst Iphikrates.«
    »Das tue ich auch. Er ist unbestritten der größte lebende Mathematiker.«
    »Aber nachdem du ihn persönlich getroffen hast«, warf ich ein, »ist deine Begeisterung ein wenig abgeklungen?«
    »Seine Manieren sind äußerst ungehobelt«, räumte sie ein.
    Mittlerweile redete der Mann von allen Leuten ausgerechnet mit Ataxas und hatte seine Stimme zur Abwechslung einmal gesenkt. Ich konnte mir nicht vorstellen, welches gemeinsame Gesprächsthema die beiden gefunden hatten, aber ich kannte ein paar Pythagoräer in Rom, die das fast undenkbare Kunststück fertig gebracht hatten, Mathematik und Religion durcheinander zu bringen. Ich fragte mich, welcher monströse, minotaurusartige Kult aus einer Fusion von Archimedes und Baal-Ahriman wohl hervor gehen könnte.
    Schließlich trafen wir auch Fausta. Sie war logischerweise der Mittelpunkt allgemeiner Aufmerksamkeit. Jeder wollte die Tochter des berühmten Diktators kennenlernen, dessen Name in weiten Teilen der Welt noch immer gefürchtet wurde. Julia wurde als eine bloße Verwandte der Caesaren weit weniger gewissenhaft umschwärmt. Wenn sie nur gewußt hätten.
    Denn dies war das Jahr des berühmten Ersten Triumvirats. Zu Hause in Rom hatten Caesar, Pompeius und Crassus beschlossen, ihnen gehöre Rom und die Welt. Heute schreiben die Menschen darüber, als ob dies irgendein bedeutendes, welterschütterndes Ereignis gewesen wäre. Tatsächlich wußte mit Ausnahme der drei Beteiligten niemand etwas davon. Es handelte sich lediglich um eine höchst informelle Vereinbarung zwischen den Dreien zur Wahrung der eigenen Interessen für Zeiten, in denen einer oder mehrere von ihnen sich außerhalb Roms aufhielten. Es war jedoch ein Vorgeschmack auf das,
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