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Der Mondscheingarten

Der Mondscheingarten

Titel: Der Mondscheingarten
Autoren: Corina Bomann
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würde Lilly damit nach England reisen. Aber das wollte sie Sunny nicht erzählen. Noch nicht. »Mal sehen.«
    »Okay, dann sag einfach Bescheid, wann du mich brauchst. Für deinen Laden lasse ich alles stehen und liegen.«
    »Danke, ich melde mich in den nächsten Tagen.«
    »Ist gut!« Damit huschte Sunny an ihr vorbei und verschwand in der Katzenetage. Lilly stapfte weiter nach oben, bis der Wäschegeruch sie umhüllte.
    »Ah, Tach, Frau Kaiser!«, rief Martin Gepard, der im Begriff war, seine Wohnungstür zuzuschließen. Er war einen Monat nach Lilly hier eingezogen und arbeitete in einem ­Supermarkt ganz in der Nähe. Obwohl sie beide ungefähr im gleichen Alter waren und voneinander wussten, dass der jeweils andere ohne Partner war, hatte sich kein weiterer Kontakt zwischen ihnen ergeben.
    Auch jetzt grüßte Lilly nur und verschwand dann in ihrer Wohnung, die der Hausflurmuff nicht erreichen konnte. Innerhalb ihrer vier Wände roch es nach Vanille, frischer Wäsche, Holz und Büchern.
    In die Versuchung, antike Stücke aus ihrem Laden hier aufzustellen, war sie nie gekommen. Früher, in ihrem anderen Leben, hatte sie sehr viele antike Möbel gehabt, doch seit ihr Mann fort war, mochte Lilly es privat eher modern. Die Möbel waren neu, nichts besonders Wertvolles, sondern Stücke aus dem allgegenwärtigen schwedischen Möbelhaus. Das Einzige, was sie aus ihrem früheren Zuhause mitgenommen hatte, war ein Gemälde, das eine Frau zeigte, die am Fenster stand und auf einen etwas undeutlichen Garten hinausblickte.
    Besonders in der ersten Zeit ihres neuen Lebens hatte Lilly sich darin wiedererkannt. Die Frau hatte ebenfalls rotes Haar und wirkte ein wenig ratlos. Was sich in dem undeutlichen Garten befand, war nicht zu erkennen, doch die Frau blickte nicht mit Freude darauf. Stattdessen schien sie sich zu fragen, was sie tun sollte und ob es sich lohnte, fortzugehen, den Garten hinter sich zu lassen.
    Auch Lilly stellte sich diese Frage häufig. Die Wohnung war tadellos und ein Wegkommen allein wegen des Ladens nicht möglich. Für ein paar Tage und Wochen, ja, denn dafür hatte sie ja Sunny, aber aus Berlin fortzugehen, konnte sie sich nicht vorstellen. Wohin auch? Freunde hatte sie noch nie viele gehabt, und deren Zahl hatte sich seit dem Tod ihres Mannes noch verringert. Eigentlich war ihr nur Ellen geblieben. Doch darüber war Lilly nicht traurig, ganz im Gegenteil, denn nur von ihr konnte sie behaupten, dass sie immer für sie da war.
    Lilly trug den Geigenkasten direkt zum Schreibtisch und legte ihn vorsichtig dort ab. Der Schein der Schreibtisch­lampe, die sie anknipste, verlieh dem alten Leder und den angelaufenen Beschlägen einen geheimnisvollen Schimmer.
    »Was meinst du?«, fragte sie das Porträt eines Mannes, der ihr aus einem schmucklosen Bilderrahmen entgegenlächelte. »Soll ich mich mal wieder in ein Abenteuer stürzen?«
    Ihr Mann war stets der Meinung gewesen, dass sie alle Chancen, die sich ihr boten, nutzen sollte. Und auch jetzt schien er ihr aufmunternd zuzulächeln. Lilly konnte kaum glauben, dass seit seinem Tod schon drei Jahre vergangen waren. Noch immer ertappte sie sich manchmal dabei, wie sie darauf wartete, dass er in den Laden kam, ihr je nach Jahreszeit heißen Kaffee oder Eis vorbeibrachte und dann ihre Neuzugänge bewunderte.
    Peter hatte nicht viel Ahnung von Antiquitäten gehabt, aber einen treffsicheren Geschmack. Die Geige hätte ihm ganz sicher gefallen.
    Liebevoll strich sie über das Porträt, doch als sie spürte, dass Tränen in ihre Augen schossen, wandte sie sich dem ­Telefon zu.
    Das Gespräch mit Ellen würde sie auf andere Gedanken bringen. Während sie die Nummer wählte, erschien vor ihrem geistigen Auge das Bild einer lebensfrohen blonden Frau Ende dreißig mit strahlend blauen Augen, einer kurzen Nase und einem etwas zu energischen Kinn. Obwohl sie beide im selben Alter waren, hatte Ellen immer reifer und weniger kindlich gewirkt als Lilly selbst. Auch jetzt war das noch so. Ellen, die Starke, Selbstbewusste gegenüber Lilly, der Kind­lichen, Zweifelnden. Wahrscheinlich zementierte gerade dieser Gegensatz ihre Freundschaft so sehr.
    »Hallo Ellen, hier ist Lilly«, sagte sie, nachdem sich eine rauchig klingende Frauenstimme am anderen Ende der Leitung gemeldet hatte.
    »Lilly, du meine Güte!«, rief ihre Freundin aus. »Wie lange haben wir uns nicht mehr gesprochen!«
    »Viel zu lange«, entgegnete Lilly, während sie nachrechnete. Mittlerweile war wieder
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