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Der Mondscheingarten

Der Mondscheingarten

Titel: Der Mondscheingarten
Autoren: Corina Bomann
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ein Vierteljahr vergangen, seit sie zum letzten Mal telefoniert hatten. Natürlich schrieben sie sich regelmäßig E-Mails, doch das war nur ein dürftiger Ersatz für die langen, innigen Gespräche, die sie früher einmal geführt hatten.
    »Das meine ich aber auch!« Ellen ließ ihr typisches glucksendes Lachen hören, dann fragte sie: »Welchem Umstand verdanke ich die Freude deines Anrufs?«
    Wahrscheinlich stand Ellen gerade in der Küche, wie Lilly an den zischenden Geräuschen im Hintergrund erkannte. In London war es jetzt kurz vor neunzehn Uhr, die richtige Zeit, das Abendessen zu bereiten. Obwohl Ellen es sich hätte leisten können, beschäftigte sie keine Köchin, sondern bestand darauf, das Abendessen selbst zuzubereiten – jedenfalls, wenn sie zu Hause war.
    »Ich hatte heute eine ganz seltsame Begegnung im Laden«, antwortete Lilly und konnte sich nur schwerlich zurückhalten, gleich mit der Geige herauszuplatzen. Aber sie wusste, dass Ellen es geheimnisvoll mochte und enttäuscht wäre, wenn sie ihr einfach nur den trockenen Sachverhalt schildern würde. Außerdem fand sie selbst ja die ganze Sache so unglaublich, dass sie fast schon daran zweifelte, sie überhaupt erlebt zu haben.
    Sie berichtete also haarklein von dem Auftauchen des alten Mannes, seinen Worten und dem Geschenk, ungeachtet dessen, dass es ein teures Auslandsgespräch war.
    »Er hat dir eine Geige geschenkt?« Ellens Stimme war voller Unglauben.
    »Ja, das hat er. Und das Seltsame daran ist, dass er meinte, diese Geige sei für mich bestimmt. Und das, obwohl ich nirgendwo einen Hinweis darauf gefunden habe. Im Futter steckte lediglich ein Notenblatt mit dem Titel ›Moonshine Garden‹.«
    »›Mondscheingarten‹, wie hübsch«, entgegnete Ellen. »Und du hast keine Adresse von dem Schenker?«
    »Nein, er hat sich mir nicht mal namentlich vorgestellt. Und er war schneller weg, als ich gucken konnte.«
    Ellen gab ein missbilligendes Schnalzen von sich. »Das sollte dir eine Lehre sein. Beim nächsten Mal fragst du besser. Es wäre möglich, dass man dir Diebesware andreht.«
    Daran hatte Lilly keinen einzigen Gedanken verschwendet. Es war einer ihrer Grundsätze, nicht nach den Namen der Kunden zu fragen – es sei denn, diese benötigten eine detaillierte Quittung für ihren Verkauf.
    Jetzt fuhr es ihr wie heißes Wasser durch die Glieder, und sie schalt sich für ihre Naivität. »Meinst du wirklich, dass sie gestohlen sein könnte?« Misstrauisch blickte sie zu dem Geigenkasten.
    »Na, ausgeschlossen ist es nicht«, gab Ellen zurück. »Dagegen spricht allerdings, dass er dir die Geige geschenkt hat und meinte, sie sei deine. Als Dieb würde ich eher versuchen, einen möglichst guten Preis zu erzielen. Und wenn sich der nicht erzielen lässt, würde ich sie aus dem Autofenster werfen.«
    »Das würdest du ganz gewiss nicht tun!«, entgegnete Lilly, jetzt wieder etwas beruhigter. Nein, die Geige war nicht gestohlen. Es war eindeutig etwas merkwürdig an ihr, aber Diebesgut war sie nicht.
    »Okay, aus dem Fenster werfen würde ich wahrscheinlich kein Musikinstrument, aber ich bin ja auch kein Dieb. Also, wie sieht das Schätzchen denn aus?«
    Lilly beschrieb, so gut sie konnte, das Aussehen der Geige, den Schwung der Schnecke, die Länge des Halses, den Sitz der F-Löcher. Außerdem Größe und Farbe. Die Erwähnung der Rose auf dem Rücken hob sie sich bis zuletzt auf. Als sie erzählte, dass sie aussähe, als sei sie mit einem heißen Eisen oder einem Lötkolben in das Holz gebrannt worden, schnappte Ellen entsetzt nach Luft. Hinter ihr schepperte es, wahrscheinlich kochte gerade etwas über.
    »Sorry«, entschuldigte sie sich kurz, der Hörer klapperte auf den Küchentisch, und Lilly wurde nun Zeugin eines saftigen Fluchs, von Schritten und noch anderen Geräuschen.
    Nach einer Minute wurde der Hörer wieder aufgenommen, und Ellens Stimme erklang.
    »’tschuldige, das Stew wäre beinahe übergekocht.«
    Lilly schmunzelte. Ellen war keine besonders gute Hausfrau, ihre Talente lagen deutlich woanders. Das brachte sie aber nicht davon ab, es am Herd immer wieder zu versuchen.
    »Und? Was meinst du zu der Rose?«
    »Zunächst einmal bin ich geschockt«, antwortete Ellen, dann schien sie sich zu setzen, wie der über den Boden scharrende Stuhl verriet. »Ist diese Zeichnung etwa in den Lack gebrannt worden? Welcher Banause macht so was?«
    »Beruhige dich«, entgegnete Lilly, während sie zum Geigenkoffer hinübersah. »Das
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