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Der Moloch: Roman (German Edition)

Der Moloch: Roman (German Edition)

Titel: Der Moloch: Roman (German Edition)
Autoren: Stella Gemmell
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anderen Seite des Flusses zu, und sie gingen weiter bergauf. Bartellus folgte ihm nachdenklich, den tropfenden Tuchfetzen fest in der Faust.

2
    Eine ganze Jahreszeit war verstrichen, seit Bartellus gezwungen worden war, sich in die Kanalisation zu flüchten. Er bewunderte die Zähigkeit der Kloaker, die hier monatelang, manchmal sogar Jahre lebten. Er übernahm wieder die Nachhut ihrer Gruppe. Die beiden Kinder gingen vor ihm und die kleine Frau namens Anny-Mae neben ihm. Sie trug immer noch die Fackel. Hier war der Tunnel höher, hatte gerade Wände und der stinkende Fluss strömte in einem tiefen Kanal unter ihnen. Nach nur wenigen Tagen hatte Bartellus den Gestank erträglich gefunden, und d ie Üb elkeit, die ihn anfangs ständig gequält hatte, war abgeflaut.
    Anny-Mae blieb stehen und winkte, und er beugte sich höflich zu ihr herunter. » Sind fast da«, sagte sie fröhlich und strahlte, als wäre sie persönlich dafür verantwortlich, dass ihr Ziel so nah war. Kurz darauf spürte Bartellus, wie die Luft um ihn herum weniger stickig wurde und der Tunnel sich öffnete, bis er sich hoch über ihre Köpfe erhob und in alle Richtungen ausweitete. Das Licht der Fackeln wurde schwächer und verschwand schließlich in der Dämmerung. Bartellus sah, dass sie am Rand eines breiten, flachen Beckens standen, durch dessen Mitte der Abwasserstrom floss. Zu beiden Seiten hatten sich sanft ansteigende Böschungen aus Schlamm gebildet. Der alte Soldat blickte gerade nach oben und wurde einen Augenblick von Entsetzen gepackt, als er an das gewaltige Gewicht der großen Stadt dachte, das auf diese winzige Schale der Kanalisation drückte.
    Ein schrilles Quieken lenkte ihn ab. Eine Schar riesiger Ratten lief über die Schlammböschungen davon, auf der Flucht vor dem ungewohnten Licht. Er sah täglich Ratten; sie waren ständige Gefährten in den Hallen, aber noch nie hatte er so große gesehen und auch nicht so viele. » Sie sind halb blind«, hatte man ihm gesagt. » Sie können nur Licht und Schatten unterscheiden und flüchten vor dem Licht.« Irgendwie wirkten blinde Ratten noch bedrohlicher auf ihn.
    Er hörte zu, was Malvenny gerade sagte. » Entzündet eure Fackeln und macht, so schnell ihr könnt. Wir haben nicht viel Zeit.« Der Anführer warf Bartellus einen vielsagenden Blick zu. » Neuer, bleib bei Anny-Mae. Sie wird dir sagen, wohin du nicht gehen darfst. Und halte dich besonders von den flachen Kuppeln fern.« Er deutete mit einer Hand auf die dunkelste Ecke der Gestade und schickte sie dann los.
    » Was sind die flachen Kuppeln?«, fragte Bartellus die Frau.
    Sie starrte bereits suchend auf den Schlamm zu ihren Füßen. » Die sind da drüben«, erklärte sie und streckte die Hand aus. » Die Kuppeln unter dem Schlamm bröckeln wie Kekse. Du würdest durch sie hindurchstürzen.« Dann sah sie ihn strahlend an.
    Er blickte dorthin, wohin sie zeigte. » Aber die Kinder …« Er sah, dass der Bruder und die Schwester bereits über die Schlammbänke rannten, auf der Suche nach » Fundsachen«. Ein Bild aus einer anderen Welt zuckte durch seinen Kopf, zwei andere Kinder, mit goldenen Haaren, an einem Strand bei Sonnenaufgang, die in Felsbecken nach Krebsen und Krabben suchten.
    » Lija weiß, was er tut«, erklärte die kleine Frau. » Sie sind leichter als wir, deshalb können sie ohne Gefahr dorthin gehen. Und alle haben Angst davor, deshalb gibt es dort gute Funde.« Mit ihren scharfen schwarzen Augen erkannte sie den Schmerz in seiner Miene und verstand ihn falsch. » Der junge Lija weiß was er tut«, wiederholte sie freundlich.
    Bartellus stellte fest, dass es für ihn hier wenig zu tun gab. Er hielt die Fackel dorthin, wohin die Frau zeigte, während sie mit einem kleinen Rechen den Schlamm durchkämmte, der in glatten Wellen rings um sie herumlag. Dann nahm sie ein flaches Sieb von dem Gürtel, den sie um die Taille trug, und siebte den Schlamm durch. Sie untersuchte die kleinen Objekte, die hängen geblieben waren.
    Einmal hob sie die Hand und zeigte ihm eine Münze. Er hielt die Flamme der Fackel dicht daran, konnte jedoch nichts erkennen. Ihre erfahrenen Finger strichen über die matte Oberfläche. » Drittes Kaiserreich«, sagte sie triumphierend und reichte ihm die Münze. » Die ist aus Gold!« Dann arbeitete sie weiter, gebückt, und er verstaute das wertvolle Stück in einem Beutel. Er fragte sich, wie sie wohl ihre Beute teilen würden.
    Anny-Mae bewegte sich rasch und blieb gelegentlich stehen, um
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