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Der Moloch: Roman (German Edition)

Der Moloch: Roman (German Edition)

Titel: Der Moloch: Roman (German Edition)
Autoren: Stella Gemmell
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glitschig gewesen wäre. Denn wenn man ausrutschte bedeutete das einen grauenvollen Tod.
    Malvenny gab ihm die Fackel, nahm drei Schritte Anlauf und sprang über den Spalt. Er landete auf festem Boden und hielt perfekt die Balance. Dann drehte er sich zu Bartellus herum und bedeutete ihm, ihm die Fackel zuzuwerfen. Bartellus warf sie vorsichtig hinüber und der Anführer fing sie geschickt auf. Dann trat er zurück.
    Bartellus verdrängte das Bild des Abwasserflusses unter seinen Füßen und ersetzte es in seinem Verstand durch das eines saftig grünen Rasens. Er sprang geschickt hinüber, und als er landete, hatte sich Malvenny bereits umgedreht und ging stromaufwärts zurück.
    Es war die Leiche eines Mannes. Der Kadaver war bereits aufgebläht, also konnte man schwer sagen, ob er fett oder dünn gewesen war. Sein Kopf war rasiert und die Haut mit blassblauen und grünen Tätowierungen geschmückt. Er war nackt. Ein armseliger Tuchfetzen hing noch um seinen Hals. Bartellus sah, dass sich schon Ratten über ihn hergemacht hatten.
    Malvenny warf einen Blick durch das zerbrochene Gitter und ging neben dem Kopf des Toten in die Knie, sodass ihm das Wasser bis zur Hüfte reichte. Er öffnete den Mund der Leiche und warf einen kurzen Blick hinein. Dann richtete er sich wieder auf. » Die Zunge ist herausgeschnitten. Kein Gold.« Er spuckte angewidert in den Fluss. » Gehen wir.«
    Bartellus betrachtete die Leiche. Es war ihr Arm, der, leichter als der Rest, in dem strömenden Wasser schwebte und in Richtung ihrer kleinen Gruppe winkte, die, wie Bartellus jetzt sehen konnte, sich auf der anderen Seite des Stroms versammelt hatte. Die Tätowierungen auf der Brust und dem Rücken waren verblasst, ebenso wie die Farbe der Haut bleicher geworden war, bis sie fast wie Zeichnungen auf einer Karte aussahen, einer Kriegskarte, wenn auch aus einem der älteren Feldzüge.
    Gerade als sich Malvenny wieder durch das Gitter zwängen und herauskommen wollte, trat Bartellus vor und quetschte sich hindurch. Er zwang den Anführer, ihm Platz zu machen.
    Tätowierungen waren nichts Ungewöhnliches, schon gar nicht unter Soldaten. Einige hatten sich Bilder von Spinnen oder Panther tätowieren lassen. Es war eine Art Stammeszeichen. Dieser Mann hier war ein wandelndes Bilderbuch. Sein Oberkörper war mit Vögeln und Tieren und geheimnisvollen Zeichen bedeckt. Sogar auf der Kopfhaut hatte er Tätowierungen. Bartellus sah, dass das Haar des Mannes begonnen hatte, in dichten Stoppeln nachzuwachsen.
    » Gib mir die Fackel.« Er hob die Hand.
    » Wir müssen weitergehen«, erwiderte Malvenny nur.
    Bartellus hob den Blick. » Die Fackel!«
    Malvenny zögerte. Er war schon länger Kloaker, als er zählen konnte, und er kannte die Bewegungen des Stroms und die Flutzeiten besser als jeder andere. Selbst ohne Uhr oder Kompass konnte er den Marsch zu den Westlichen Gestaden und zurück präzise kalkulieren. Wenn er sagte, es wurde Zeit weiterzugehen, dann war es das auch.
    Aber ihm war ebenfalls klar, dass dieser wortkarge Neuling ihm das Genick brechen konnte, wenn er sich weigerte. Er war sehr erfahren und pragmatisch und reichte dem anderen die Fackel. Er sah zu, wie der ältere Mann sich erneut zu dem Leichnam hinabbeugte.
    Hoch auf der rechten Schulter des Mannes saß eine alte, weiße, s-förmige Narbe. Etwas regte sich in Bartellus’ Gedächtnis. Er betrachtete sie stirnrunzelnd.
    » Zeit weiterzugehen«, sagte die Stimme hinter ihm.
    Ein Brandzeichen, begriff Bartellus. Die Erinnerung regte sich erneut und verschwand, ohne dass er sie hätte fassen können. Sein Gedächtnis war mittlerweile sehr lückenhaft. Es bereitete ihm Sorgen, dass ganze Episoden seiner Vergangenheit in diesen Lücken verschwunden waren. Der alte Soldat wühlte in dem Beutel an seiner Hüfte und nahm ein kleines, scharfes Messer heraus. Dann blickte er hoch. » Kommen wir auf diesem Weg zurück?«
    » So Gott will.«
    Bartellus zögerte einen Moment unsicher, verstaute dann das Messer wieder und richtete sich auf. Er warf noch einmal einen Blick auf die verblassenden Tätowierungen und versuchte sie sich in seinem unzuverlässigen Gedächtnis einzuprägen. Dann bückte er sich noch einmal kurz und riss das Stück Tuch ab, das im Wasser um den Hals des Leichnams trieb. Malvenny warf ihm einen merkwürdigen Blick zu, aber Bartellus nickte dem Anführer nur zu. Sie kletterten beide durch das zerbrochene Gitter hinaus. Dann winkte Malvenny der wartenden Gruppe auf der
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