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Der Mörder ohne Eigenschaften: Ein Fall für Enzo Mackay (German Edition)

Der Mörder ohne Eigenschaften: Ein Fall für Enzo Mackay (German Edition)

Titel: Der Mörder ohne Eigenschaften: Ein Fall für Enzo Mackay (German Edition)
Autoren: Peter May
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zuvor getan hatte. «Wir müssen Hilfe holen», sagte sie.
    Doch Bertrand wählte auf seinem Handy bereits den Notruf.
    Vielleicht war es ihr warmer Atem in seinem Gesicht oder der vertraute Geruch ihres Parfüms. Jedenfalls öffnete Enzo die Augen und sah, wie sie sich über ihn beugte. Irgendetwas gab ihm die Kraft zu einem zaghaften Lächeln, das sie zum Weinen brachte. «Halt durch, Dad!», schluchzte sie. «Halt durch!» Er nahm ihre Hand und hielt sie fest. Leibliche Tochter oder nicht, sie war immer noch sein kleines Mädchen.
    * * *
    Anna marschierte wutentbrannt über den Parkplatz und schlug die Tür ihres Wagens hinter sich zu. Die Hände ums Lenkrad gekrallt, saß sie mit zusammengebissenen Zähnen da und starrte in den Schneeregen an der Windschutzscheibe. Nach der Begegnung mit der anderen Gondel hatte sie während der restlichen Minuten der Abfahrt darüber gegrübelt, wie sie ihr auf die Schliche gekommen waren, was sie dazu gebracht hatte, hierherzukommen.
    Doch dann war es ihr siedend heiß eingefallen. Ihr eigener dummer Fehler. Sie hatte die E-Mail an Enzo nach dem Verschicken nicht gelöscht. Sie war gerade dabei gewesen, erinnerte sie sich, doch dann hatte sie erhobene Stimmen aus dem Wohnzimmer gehört. Überhastet hatte sie das E-Mail-Programm geschlossen und war hinübergeeilt. Offenbar hatten sie die Nachricht entdeckt. Zweifellos würden sie Enzo jetzt finden, und die einzige Möglichkeit, dem Ganzen ein Ende zu setzen, bestand darin, sie alle zu töten.
    Andererseits konnte sie nicht warten, bis sie wieder herunterkamen. Die jungen Leute hatten Handys, und wahrscheinlich waren sie in diesem Moment dabei, Hilfe zu holen. Sie knallte mit den Handballen aufs Lenkrad und verwünschte sich für ihre Nachlässigkeit. Jetzt war sie der Risikofaktor. Sie konnte nur noch die Flucht ergreifen. Untertauchen. Für den Rest ihres Lebens ängstlich über die Schulter blicken.
    «Hol euch der Teufel!», brüllte sie in die Nacht. Und steckte den Schlüssel ins Zündschloss.
    * * *
    Sie sahen die Explosion vom Gipfel aus. Eine große Feuerwolke, die in den Nachthimmel schoss und fast ebenso schnell verglühte. Der Knall folgte wie Donner dem Blitz ein paar Sekunden später.

Kapitel fünfundfünfzig
    Aus dem Fenster seines Krankenhauszimmers blickte Enzo über die Dächer des südwestlichen Cahors bis zu den bewaldeten blauen Hügeln auf der anderen Seite des Flusses.
    Auf der langen Überführung im Krankenwagen hatte sich die Depression wie winterlicher Nebel über ihn gesenkt, den nicht einmal der Sonnenschein dort draußen zerstreuen konnte. Er hatte einen Mörder aufgespürt, aber nicht seine Auftraggeber. Wer damals den Tod von Lambert beschlossen hatte und aus welchem Grund, wusste er genauso wenig wie am Anfang. Er hatte versagt.
    Und obwohl sie versucht hatte, ihn umzubringen, trauerte er um Anna. Er wusste, dass sie nicht so hieß, doch für ihn war das ihr Name. Arme Anna. Sie hatte etwas unsäglich Trauriges an sich gehabt. Was von all den Dingen, die sie ihnen erzählt hatte, stimmte und was nicht, konnte niemand sagen. Doch dass ihr Leben durch eine Tragödie zerstört worden war, stand für ihn außer Zweifel.
    Der einzige Lichtblick in seiner düsteren Stimmung waren die Besuche von Kirsty und Sophie. In ihrer Gegenwart riss er sich zusammen und verströmte Zuversicht. Seltsamerweise schienen sich die beiden jetzt näher zu stehen als vorher. Wie echte Schwestern. Blutsverwandte Schwestern. Und das, obwohl sie ja nicht einmal mehr Halbschwestern waren.
    Auch zwischen Kirsty und Enzo waren die Bande inzwischen stärker als Blut. Unausgesprochen, doch von beiden gleichermaßen empfunden. Die Beziehung, die sie in Kirstys ersten sieben Lebensjahren geknüpft hatten, war dauerhafter und widerstandsfähiger als aller Schmerz in den Jahren danach. Sogar Simons Enthüllung hielt sie stand. Simon war nie ihr Vater gewesen und würde es nie sein.
    Bertrand rechnete damit, im Lauf der nächsten zwei Wochen sein Fitnessstudio in den provisorischen Räumen des Maison de la Jeunesse wiederzueröffnen. Der Scheck von der Versicherung mochte noch ein bisschen auf sich warten lassen, doch Enzo hatte ihm gesagt, dass es damit keine Eile habe.
    Raffin war aus dem Krankenhaus in Paris in ein Reha-Zentrum in einem Vorstadtviertel überwiesen worden, und es ging mit ihm weiter stetig bergauf. Dessen ungeachtet hatten er und Enzo noch eine Rechnung offen.
    Als die Tür aufging, wandte er den Kopf vom Fenster ab
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