Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mörder ohne Eigenschaften: Ein Fall für Enzo Mackay (German Edition)

Der Mörder ohne Eigenschaften: Ein Fall für Enzo Mackay (German Edition)

Titel: Der Mörder ohne Eigenschaften: Ein Fall für Enzo Mackay (German Edition)
Autoren: Peter May
Vom Netzwerk:
Telefonhörer kleben? Andererseits hegte er keinen Zweifel, dass die E-Mail von Kirsty stammte. Wer sonst hätte von dem schrecklichen Geheimnis wissen können, das in jener Nacht in Simons Londoner Wohnung gelüftet worden war?
    Er nahm den Hörer, hielt ihn ans Ohr und horchte angestrengt. Es klickte, dann begann es zu klingeln. Er wartete, fast starr vor Anspannung. Beim dritten Klingeln nahm jemand am anderen Ende ab. Stille, außer einem leisen atmosphärischen Rauschen. Doch es war jemand dran. Enzo war sicher, dass er jemanden atmen hörte.
    «Hallo?», sagte er. Im selben Moment gingen die Türen zu.
    Er ließ den Hörer fallen und war mit zwei Sätzen an der nächsten Tür, um die Hände dazwischenzubekommen, bevor sie sich vollends schloss. Zu spät. Er wirbelte herum und stand – wie ein wildes Tier in der Falle – keuchend mitten in der Gondel.
    Plötzlich machte die Kabine einen Ruck, dann verließ sie rumpelnd das Dock und schaukelte in die Nacht. Enzo klammerte sich an einen Handlauf, erfasst von dem beunruhigenden Gefühl, in ein tiefes Dunkel zu driften. Von der erleuchteten Kabine aus gesehen herrschte hinter den Fenstern nur pechschwarze Dunkelheit. Einzig die Lichter des Parkplatzes sah er, doch auch sie verschwanden rasch in der Tiefe. Die Kabine wurde vom Wind herumgestoßen. An den Scheiben schmolz der Schneeregen und rann wie Tränen am Glas herab.
    Er wusste jetzt, dass er hereingelegt worden war. Und in der Falle saß. Falls Kirsty diese E-Mail überhaupt geschrieben hatte, dann war sie dazu gezwungen worden. Von jemandem, der irgendwie von ihrem Geheimnis wusste. Aber von wem? Er konnte es sich nicht erklären und wagte es nicht, sich auszumalen, unter welchen Umständen sie dazu gebracht worden war.
    Auf jeden Fall musste das Ganze mit Labrousse und dem Mordfall Pierre Lambert zusammenhängen.
    Als die Gondel an einem Trägermast vorbeikam, sackte sie plötzlich ab und schwebte danach in einem noch steileren Winkel weiter hinauf. Enzo geriet in Panik. Er konnte absolut nichts machen. Er ging zu dem Bedienfeld zurück und drückte auf jeden Knopf. Nichts geschah. Irgendwie war die Bordbedienung der Kabine außer Kraft gesetzt und wurde ferngesteuert. Er kramte in allen Taschen nach seinem Handy, bis ihm einfiel, dass der Akku leer gewesen war und er es zum Aufladen im Wagen gelassen hatte. Folglich konnte er nicht einmal Hilfe holen. Er war in diesem verdammten Kasten gefangen, in dem er im Dunkeln an einer Winde einen Berghang hochgezogen wurde, und Gott allein wusste, was für ein Schicksal ihn auf dem Gipfel erwartete.
    Er atmete in kurzen, heftigen Stößen und ging ans hintere Ende seines Käfigs. Dort lehnte er sich mit dem Rücken ans Fenster, packte den Handlauf und fasste den eisernen Entschluss, sich dem Unvermeidlichen zu stellen.
    Mit steigender Höhe war der Schneeregen in Schnee übergegangen, der die vordere Scheibe bedeckte. Wieder sackte die Gondel einen Moment ab. Der zweite Mast. Enzo blickte aus dem Seitenfenster und sah im Westen irgendwo in der Tiefe unter sich die Lichter eines Dorfs. Als die Gondel durch eine felsige Scharte schwebte, reflektierte der Berghang schwach das Kabinenlicht. Weiter oben tauchte jetzt die dunkle Silhouette der Gipfelstation auf. Wenig später hörte der Schneefall abrupt auf, und die Seilbahn schob sich scheppernd in die Andockbucht. Endlich hielt sie an, und die Türen glitten auf.
    Enzo blieb stocksteif stehen. Er hörte den Wind zwischen den hohen Betonwänden heulen. Drahtseile und Wellblechverkleidung rasselten so heftig im Sturm, dass es hohl widerhallte. Außer in der Gondel gab es nirgends Licht. Er sah eine Metalltreppe, die zu einem Wartungssteg unter der Decke führte, wo sich die Drahtseile um riesige gelbe Räder wanden.
    Über eine zweite Treppe kam man auf eine eiserne Plattform, von wo aus ein großes Schiebetor in eine unbeleuchtete Halle führte. Schilder wiesen an einer Cafeteria vorbei zum Ausgang. Im Dunkel war nichts zu erkennen – kein Mensch, keine Bewegung.
    Reglos verharrte Enzo, um sich zu orientieren, während ihm sein Instinkt riet, am besten im Licht und Schutz der Gondel zu bleiben. Doch er wusste, wie illusorisch es war, sich dort in irgendeiner Weise sicher zu fühlen. Das Licht, das ihn beruhigte, machte ihn gleichzeitig für jeden sichtbar, der da draußen lauerte. Die Dunkelheit wäre ein besserer Verbündeter.
    Dann rannte er plötzlich, wie von einem spontanen Impuls getrieben, zur Kabinentür
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher