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Der Moderne Knigge

Der Moderne Knigge

Titel: Der Moderne Knigge
Autoren: Julius Stettenheim
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ergriffen, daß sie meinen, man könne sich nur in den Strapazen der Sommerreise erholen. Man versage ihnen das Mitleid nicht.
    Es wird von der Majorität aus zwei Gründen gesommerreist. Erstens will man die Frühlingsfrage: Wohin reisen Sie im Sommer? und zweitens will man die Herbstfrage: Wo sind Sie im Sommer gewesen? mit dem Namen einer entfernt liegenden Ortschaft beantworten können. Dies geschieht, weil man fürchtet, sich durch das Nichtreisen zu kompromittieren, indem man scheinbar zugäbe, nicht das nötige Geld zu haben, um es in Menge verreisen zu können. Hat man das nötige Geld, um es in Menge verreisen zu können, so nennt man dies: Etwas für die Gesundheit thun.
    War man verreist und trifft dann einen Freund, der nicht verreist gewesen, so beneidet man diesen.
    War man nicht verreist und trifft dann einen Freund, der verreist war, so beneidet man diesen.
    Es kommt aber auch vor, daß man in beiden Fällen den Freund nicht beneidet. Dies ist in beiden Fällen der Fall, wenn man entweder von dem Freund hört, wie bequem es sich in der Heimat lebte, oder mit wie vielen Unbequemlichkeiten der Aufenthalt in der Fremde verknüpft gewesen.
    Wenn man gerne einmal wenigstens auf kurze Zeit seine Bekannten entbehrt, – und wer entbehrte sie nicht gerne einmal, wenn nicht auf kurze, so doch wenigstens auf längere Zeit! – so bleibe man mutig daheim und reise nicht, denn die Bekannten sind in großer Zahl verreist, und man würde auf der Reise mit ihnen zusammentreffen, besonders da, wo man es nicht vermutet. Man weicht seinen alten Bekannten, welche man, wie bemerkt, einmal nicht gerne sieht, am sichersten aus, wenn man im Sommer die Heimat nicht verläßt. Wer aber im Sommer reist, hat sich die Bekannten selbst zuzuschreiben und sollte sich deshalb nicht beklagen.
    Ist man daheim geblieben, so versäume man nicht, die Orte aufzusuchen, an welchen man vorher immer seine lieben alten Bekannten traf und später wieder treffen wird. Dann erinnere man sich ihrer Eigentümlichkeiten, Un- und Redensarten, Anekdoten, Langweiligkeiten, Rechthabereien, Unaufrichtigkeiten, Unliebenswürdigkeiten, üblen Gewohnheiten, guten Lehren, gern vorgetragenen Lebenserfahrungen und Erfolge im Würfeln. Hierauf sehe man sich um und entdecke lauter neue Gesichter und Gestalten. Man wird einen großen Genuß haben.
    Man hüte sich auch, durch diesen Genuß übermütig zu werden, wozu man leicht verführt wird, wenn man in die Lage kommt, Briefe dieser Bekannten, die vielleicht an der Schreibsucht leiden, zu beantworten und bei dieser Gelegenheit die Annehmlichkeiten des Aufenthalts in der Stadt schildert, in der man zurückgeblieben. Die Gefahr ist nicht groß, aber doch vorhanden, daß diese Schilderung die Abwesenheit des Bekannten abkürzt, indem sie ihn veranlaßt, früher als beabsichtigt die Freuden der Heimat mitzugenießen.
    Aber eines Tages beginnt doch, immer früh genug, die
Rückkehr
    allgemein zu werden, und mit dem Zauber des Sommers und Herbstes erreichen die hier und da vorhandenen und so angenehm auffallenden und wirkenden Lücken der städtischen Bevölkerung ihr Ende.
    Das ist bedauerlich, aber die Kinder müssen wieder in die Schule. O gewiß, die Kinder sind zu sehr angestrengt, die Schule ruht nicht lange in ihrem Überbürden, die Ferien sind zu kurz. In diese humane, den übertreibenden Bildungsdrang unserer Zeit berührende Betrachtung kann man das Bedauern kleiden, daß mit der Wiedereröffnung der Schulen die meisten Erwachsenen wieder in die Heimat zurückeilen müssen.
    Hat man Dienerschaft in der Wohnung zurückgelassen, d. h. mehr als ein Mädchen, so herrscht daselbst schon seit einigen Tagen die übelste Stimmung. Nun kommt die Herrschaft wieder, deren Abwesenheit so vielen Beifall fand, nun geht das Klingeln wieder los, nun fängt die Arbeit wieder an, nun fällt jedes zerbrochene Lampenglas, jeder zerschellte Teller, jeder ruinierte Glühstrumpf wieder auf. Und der arme Grenadier wird nicht wissen, wohin er abends das Seitengewehr legt und auch sonst abrüstet. Wie kontrastieren mit den Trümmern des kurzen Idylls die Guirlanden, mit denen unter solchen Äußerungen die Eingangsthür der Wohnung umrahmt wird, während oben ein Plakat » Herzlich Willkommen! « hervorleuchtet. Eine weiße Lüge auf rotem Grund.
    Ist der Gatte in der Wohnung zurückgeblieben und erwartet er die Rückkehr der Gattin, so wird die Thür ebenso mit Guirlanden und Plakat geschmückt. Aber das » Herzlich Willkommen!
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