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Der Moderne Knigge

Der Moderne Knigge

Titel: Der Moderne Knigge
Autoren: Julius Stettenheim
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– ergiebt man sich unerwartet dem Angelsport, fährt man wie ein Blitz aus heiteren Wolken auf die Inserate nieder, um behufs späterer Verheiratung Damenbekanntschaft zu machen, verspürt man die Lust, eine rote Kravatte zu tragen, oder möchte man sich das Schnupfen angewöhnen, so verlasse man den Ort, an welchem man sich in solchem Augenblick befindet, und suche eine kühlere Gegend auf.
    Findet während der Hundstage die Sitzung irgend einer parlamentarischen Körperschaft statt, und hat man so viel Zeit, daß man ein Stündchen auf eine ganz wertlose Sache verwenden kann, so entschließe man sich, in solche Sitzung zu gehen. Man wird Reden hören, welche von ernsten Männern über ganz ernsthafte Fragen gehalten, aber den Eindruck von Polterabendscherzen machen werden. Man erzähle aber nicht, daß man der Sitzung beigewohnt habe, da solcher Besuch leicht mißverstanden und als Folge der großen Hitze betrachtet werden könnte.
    Während der Dauer der Hundstage sind als leichtere Anfälle anzusehen, so daß man nicht ängstlich zu werden und die Hoffnung auf einen guten Verlauf nicht aufzugeben braucht: Appetit auf Austern, ein Tanz im geschlossenen Raum, der Entschluß, ein Theater zu besuchen, Anschaffung einiger Goldfische, Etablierung einer Vogelhecke, Auftauchen der Absicht, sich photographieren zu lassen, den Grundstein zu einer Goldmünzensammlung zu legen, Sues Geheimnisse von Paris nochmals zu lesen und einem vorüberfahrenden Wagen der Feuerwehr nachzulaufen, um das betreffende Schadenfeuer zu beobachten. Hierher gehören auch: längere Betrachtung eines Mückentanzes, das Fliegenfangen, das Durchlesen alter Liebesbriefe, die Wette, daß in der kommenden Saison weniger als sechs Novitäten vom Publikum abgelehnt werden, das Hoffen auf einen Lotteriegewinn, das Verzehren von drei Portionen Vanilleeis und ähnliche fast wie Ausschreitungen aussehende Harmlosigkeiten.
    Gattinnen und Gatten ist für die Hundstage eine noch größere gegenseitige Rücksicht auf Gewohnheiten und Charaktereigentümlichkeiten zu empfehlen, als sie an weniger heißen Tagen zu nehmen gewöhnt sind, da die Sonnenglut leicht aus einer leichten Verstimmung eine Scene zurechtkocht, deren Ende nicht so abzusehen ist, als das des Geschirrs, dessen Zertrümmerung als ein Beruhigungsmittel gilt.
    Es mag hier ein Wort über
Scenen
    überhaupt eingeschaltet sein, da solche im Sommer besonders leicht aufgeführt werden, wenn die Hitze das eheliche Blut erheblicher erregt macht. Hierbei will sich der moderne Knigge weder an den Mann, noch an die Gattin, sondern an beide zugleich wenden, da nach seiner Erfahrung das Talent, Scenen zu arrangieren gleichmäßig an die Geschlechter verteilt ist.
    Eheliche Scenen sind im Winter und im Sommer gleich überflüssig, weil sie in den meisten Fällen zu nichts führen als zur Versöhnung. Aber sie sind auch überflüssig, weil sie langweilig sind, und das ist ihre schlimmste Eigenschaft, langweilig schon dadurch, daß sie sich überraschend ähnlich sehen. Aus diesem Grunde namentlich sollten sie unterlassen werden, vor allem aber im Sommer, wo alles, was warm macht, sorgfältiger als im Winter vermieden werden sollte.
    In jeder Ehe vertritt das Regietalent, eine Scene herbeizuführen, entweder der Gatte, oder die Gattin. Beide haben es vielleicht in die Ehe mitgebracht, aber gewöhnlich hat er oder sie es allmählich verloren, wenn er oder sie das größere Talent an den Tag legte und dann vertrauensvoll das Arrangement dem anderen Teil überließ. Der moderne Knigge rät aber nicht dazu, dieses Thema auf die nächste Tagesordnung des Mittagsessens zu setzen, weil dadurch eine Scene unvermeidlich ist.
    Man vermeide aber schon deshalb jede Scene, weil sie an einem bedenklichen Wachstum leidet. In den Flitterwochen war, wie man sich mit Vergnügen erinnern wird, die Scene nur klein, kaum nennenswert, eine Skizze. Dann wurde sie aber größer, je länger man sich auf dem Vormarsch zur silbernen Hochzeit befand. Aus der Scene wurde langsam, aber sicher ein Einakter und hierauf eine Komödie mit kurzen Zwischenakten, welche sich dann zu einem abendfüllenden Stück auswuchs.
    Scenen sind gewöhnlich inhaltlos. Es fehlt ihnen wie den meisten modernen dramatischen Werken eine spannende Handlung. Statt deren bieten sie nichts als einen Dialog, der sich in den meisten Fällen um ein nichts dreht, um eine Vorgeschichte, die nicht der Rede wert ist, um ein Wort, das gefallen ist, oder um ein Wort, das nicht
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