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Der Moderne Knigge

Der Moderne Knigge

Titel: Der Moderne Knigge
Autoren: Julius Stettenheim
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nicht für ein Unglück, einen Verstoß zu begehen, oder begangen zu haben, selbst auf die Gefahr hin, dadurch auf die Tagesordnung einer aus älteren Damen zusammenberufenen Kaffeekammersitzung zu geraten. Aber es ist doch nicht jedermann in der Lage, dergleichen ruhig ertragen zu können. Es giebt strenge Festgeber, welche einem Gast den Gehrock jahrelang nachtragen, in welchem er statt in einem Frack erschienen ist, und ich könnte Damen namhaft machen, welche jeden Fehltritt, namentlich ihren eigenen, gern verzeihen, aber einem Mann, der der Wahrheit gemäß versichert hatte, er habe sich an ihrer Seite nicht unterhalten, das Ewig-Männliche aberkennen. Es wäre dies erträglich, wenn ein solcher Mann nicht wieder eingeladen würde, aber ein solches Glück gehört zu den größten Seltenheiten, wie das große Los, oder der weiße Rabe, und wer von einem solchen Glück erreicht wird, läuft Gefahr, daß man von ihm sagt, das könne nur einem sehr Dummen passieren. Daher glaube ich, den vielen Tausenden, welche im Winter Gäste werden, mit meinen Erfahrungen und Beobachtungen, mit meinen Ratschlägen und Hinweisen, kurz, mit allem, was ich auf meinen Durchquerungen des Gesellschaftslebens in langer Leidenszeit, die allerdings auch manche heitere Station aufzuweisen hat, gesammelt, nützen zu können.
    Ich halte also einen Leitfaden durch den Winter für ein längst gefühltes Bedürfnis, namentlich für solche Gäste, die das Gegenteil erklären, um mich in den Glauben zu versetzen, sie hätten einen solchen Leitfaden nicht nötig. Daß ein Leitfaden immer mit Nutzen zu gebrauchen ist, das wissen wir seit der Heldenthat des Theseus, seit er das mit Recht so unbeliebte Labyrinthvieh erlegt hatte und durch Ariadnes Leitfaden Gelegenheit fand, aus dem ohne Zweifel sehr verbauten Gebäude wieder herauszukommen. Ich weiß nicht, ob Theseus später renommierte, daß er auch ohne den Leitfaden das Lokal des Minotauros hätte verlassen können. Ich glaube es nicht. That er es aber, so war er ein sehr undankbarer Jüngling. Jünglinge sind ja unberechenbar. Und so bin ich darauf gefaßt, daß viele, die sich mit meinem Leitfaden bekannt machen, später sagen werden, sie hätten schon alles gewußt. Ich kenne das. Wann hätte ein Leser nicht schon alles gewußt!
Abfütterungen,
    welche unter dem Namen Diner, Souper oder gar Löffelchen Suppe auftreten, sind eine für Wirt und Gast gleich traurige Einrichtung, so erfreulich eine Einladung zum Speisen in kleinem Kreise zu sein pflegt. Zum Speisen wurde immer eingeladen, seit die erste Aufforderung Evas an Adam erfolgt ist, dagegen ist die Abfütterung das Gegenteil. Hier bläst der Wirt alle zusammen, welche zu seinem Hause in irgend eine Beziehung getreten sind, oder gegen die er eine Verpflichtung zu haben glaubt. Das abfütternde Paar hat unter herzbrechenden Flüchen und den Hausfrieden störenden Zänkereien alle Einrichtungen getroffen, daß die Teilnehmer der Tafel zufrieden sein werden. Die bunte Reihe ist mit großer Mühe arrangiert worden. Da treffen die Absagen ein. Einige Lebemänner melden, daß sie zu ihrem großen Bedauern (lies: Vergnügen) eine Reise anzutreten haben, oder so erkältet sind, daß sie auf das Glück (lies: Schicksal) verzichten müssen, in dem lieben Kreis erscheinen zu können. Die Dame des Hauses muß die bunte Reihe umbauen. »Immer sagen die Nettsten ab!« meint sie. Aber den Kommerzienrat kann sie nicht neben die Frau Professor placieren, weil er nur die Dekolletierten vertragen kann, die Frau Professor aber fast bis an die Zähne gegen die Neugier bewaffnet erscheint, und diese verschlossene Frau kann nur essen, wenn sie neben einen Mann gesetzt wird, welcher die Geschichte der Hohenstaufen kennt. Dies ist ihre Spezialität. Wer also eine Abfütterung beizuwohnen hat, thut gut, sich vorher nach dem Thema, welches seine Tischdame anzuregen pflegt, zu erkundigen. Meist wissen dies die Hausfrauen anzugeben, so daß man sich vorbereiten kann. Wird ein wissenschaftliches Thema genannt, so ist die Vorbereitung leichter zu nehmen, weil die betreffende Tischdame sich nur gefürchtet machen will, selbst aber ihren Gegenstand nur oberflächlich kennt. Wenn man daher während der Prüfung, die man als unglücklicher Tischnachbar zu bestehen hat, dann und wann das Wort »bekanntlich« einfügt, so stutzt die Dame und wagt nicht, zu korrigieren, auch wenn man was ganz Dummes gesagt hat. Dagegen muß man über solche Gegenstände, über welche jede
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